Kriminalität | Entscheidung eventuell am Nachmittag
Verteidiger verlangt Abbruch von Mafia-Prozess in Zürich
Die Verteidigung hat vor dem Zürcher Obergericht beim Prozess gegen einen 56-jährigen Italiener, dem Verbindungen zur kalabrischen Mafia vorgeworfen werden, einen Prozessabbruch beantragt - wegen Verfahrensmängel. Das Gericht will darüber am Nachmittag entscheiden.
Der private Verteidiger benutzte am Donnerstag deutliche Worte: Er sprach von "massiver Verfahrensmanipulation zulasten des Beschuldigten". Die Verteidigung habe keine vollständige Akteneinsicht erhalten.
Zudem seien allfällig entlastende Beweismittel nicht zugelassen worden. Stattdessen sei unzulässiges beziehungsweise "giftiges" Beweismaterial verwendet worden.
Die Vorwürfe an die Adresse der Staatsanwaltschaft reichten von "Lügen" und "Amtsmissbrauch" über "getürkte Anklage" bis zu "geheimer Kabinettsjustiz". Unter den gegebenen Umständen sei kein fairer Prozess möglich, schloss der Verteidiger. Das Verfahren sei deshalb einzustellen.
Unsachlich und ehrverletzend
Die meisten dieser Vorwürfe sind nicht neu: Sie wurden bereits in erster Instanz vor dem Bezirksgericht Bülach vorgebracht. Sie wurden allerdings vom Gericht als unbegründet zurückgewiesen. Die Verteidiger zeigten sich damals überzeugt, dass die Richter die Akteneinsicht zu torpedieren versuchten, und verliessen deshalb sogar den Gerichtssaal.
Die Verhandlung musste daraufhin abgebrochen werden, was für Schlagzeilen sorgte. Das Richtergremium wurde später vom Vorwurf der Befangenheit vom Obergericht freigesprochen.
Die Staatsanwaltschaft beantragte am Donnerstag dem Obergericht, den Antrag auf Prozessabbruch abzuweisen. Die erneut vorgebrachten Anschuldigungen seien verunglimpfend, ehrverletzend und unsachlich, hielt der Staatsanwalt fest, und verwies auf die Argumentation der Vorinstanz.
Einen neu vorgebrachten Vorwurf, wonach andere Verfahren mit mutmasslichen Komplizen des Beschuldigten nicht getrennt hätten geführt werden dürfen, lehnte der Staatsanwalt mit der Begründung ab, die Verfahren zusammenzulegen wäre "sachfremd" und praktisch nicht durchführbar gewesen.
Allerdings muss die Staatsanwaltschaft im Auftrag des Gerichts noch eine Liste nachreichen mit den Namen der Personen, welche im Verfahren benutzte Überwachungsprotokolle übersetzt haben. Das Gericht will Anfang Nachmittags über einen allfälligen Prozessabbruch entscheiden.
Wieder auf freiem Fuss
Das Bezirksgericht Bülach hatte den Italiener aus dem Zürcher Unterland im November 2015 wegen Kokainhandels zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Zudem soll sich der Beschuldigte an der Vorbereitung eines bewaffneten Überfalls auf einen Geldtransporter beteiligt haben.
Vom Vorwurf, die kalabrische 'Ndrangheta unterstützt und Geldwäscherei betrieben zu haben, wurde der Italiener allerdings freigesprochen.
Der Beschuldigte wohnte der Verhandlung am Donnerstag bei. Er war 2011 in den vorzeitigen Strafvollzug gekommen und hatte zum Zeitpunkt des Urteils die Hälfte der Freiheitsstrafe bereits hinter sich. Inzwischen ist er wieder auf freiem Fuss.
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