Armee | 165 Schweizer Soldaten im Kosovo. Für viele gehr es um die persönliche und berufliche Erfahrung
Swisscoy-Truppen fühlen im Kosovo den Puls der Bevölkerung
"Wir sind die Augen und Ohren der Kfor". In dieser Rolle sehen sich die Soldatinnen und Soldaten des 41. Schweizer Kontingents der Swisscoy, die seit Anfang Oktober im Kosovo stationiert sind. Für viele geht es dabei auch um die persönliche und berufliche Erfahrung.
Eigentlich wäre es ein strahlender Tag. Doch wie so oft müssen sich die Sonnenstrahlen zuerst durch eine graue Smogschicht kämpfen, bevor sie das Camp Novo Selo der internationalen Nato-Kosovo-Einsatztruppe (Kfor) zwischen Mitrovica und Pristina erreichen.
Die schlechte Luft - verursacht durch das einzige Kohlekraftwerk des Landes und das Kochen und Heizen mit Holz und Abfall - ist ein ständiger Begleiter der 165 Swisscoy-Soldaten im Kosovo. Am Anfang habe er damit zu kämpfen gehabt, sagt Hauptmann Stefan Jedelhauser, Vater eines vierjährigen Sohnes und Berufssoldat der Fliegerabwehr. Doch mit der Zeit gewöhne man sich daran.
120 Fahrzeuge und ein Chalet
Jedelhauser, auch er erst seit Anfang Oktober für die Swisscoy im Kosovo, ist Kommandant der Logistik-Basis in Novo Selo und damit Herr über eine Schreinerei, ein Materiallager, eine Autowerkstatt , 120 Fahrzeuge, darunter fünf Sattelschlepper, zwei Kranlastwagen, einen Unimog zur Strassenreinigung und zum Schneeräumen - einen Schlafcontainer und das Maiensäss, das extra von Schweizer Schreinern aufgebaute Ess-, Aufenthalts- und Unterhaltungsgebäude im Stil eines Schweizer Chalets.
Die Infrastruktur-Soldatinnen und -Soldaten in Camp Novo Selo machen rund eine Drittel der Swisscoy-Truppe aus. Sie sorgen dafür, dass die Schweizer Soldaten im zweiten Kfor-Camp in Pristina und an drei weiteren Standorten im Land mit Material, Wasser und Post versorgt werden, dass die Geländefahrzeuge fahrtüchtig und die Fenster und Türen dicht sind und die Duschbrausen funktionieren.
Keine religiösen Spannungen in Prizren
Drei Mal pro Woche beliefert Jedelhausers Truppe auch das Schweizer Verbindungs- und Beobachtungsteam (LMT) in Prizren im Süden des Landes, untergebracht in einem grosszügigen neuen Wohnhaus mitten in der 140'000-Seelen-Stadt. Diese wird zwar zu über 90 Prozent von Kosovo-Albanern bewohnt, doch unter ihnen leben auch Minderheiten von Kosovo-Serben, Kosovo-Türken, Kosovo-Bosniaken und Kosovo-Roma.
Seit den schlimmen Ausschreitungen im Jahr 2004, als in Prizren orthodoxe Kirchen und Häuser von Serben angezündet wurden, habe die Swisscoy in ihrem Tätigkeitsgebiet kaum mehr religiöse Spannungen beobachtet, sagt der Kommandant der neunköpfigen Schweizer Truppe, Hauptmann Giacomo Salvi, 32-jährig und in der Schweiz Berufsmilitär in Moudon VD. Heute gehe es lediglich noch um sprachliche und kulturelle Differenzen.
Die Mission seiner neunköpfigen Truppe sei es daher, mit der Bevölkerung in Kontakt zu stehen, ihre Bedürfnisse zu verstehen, aktiv zuzuhören und dann dem Kfor-Hauptquartier über mögliche Krisenherde Bericht zu erstatten. Daneben kontrollieren sie, ob die Strassen in der Umgebung befahrbar und frei von Blockaden sind.
Sie seien "Augen und Ohren der Kfor", erklärt Fachoffizierin Karine Wilhelm, Mutter von zwei erwachsenen Kindern und bereits in ihrem vierten Einsatz im Balkan. Im Gegensatz zu den Soldaten in den Camps, die ihre Lager ohne Spezialgenehmigung nicht verlassen dürfen, steht das LMT in regelmässigem Kontakt mit der Bevölkerung, jedoch nur beruflich und in Uniform. Privaten Ausgang gibt es auch für sie nicht.
Zuhören, rapportieren, Kaffee trinken
So ziehen die Swisscoy-Soldaten mit ihrem lokalen Übersetzer durch die malerische Altstadt von Prizren mit ihren historischen Moscheen und Kirchen und werden dabei von den Menschen neugierig beobachtet. Dadurch ergäben sich regelmässig spontane Gespräche, aber auch Einladungen zum Kaffee oder eine Anfrage für ein gemeinsames Selfie seien keine Seltenheit, sagt Oberleutnant und Berufsoffizier Mirko Della Pietra. So fühlten sie "den Puls der Bürgerinnen und Bürger".
Ihre Kontrollrundfahrten führen die Teams aber auch in entlegene Dörfer in den Bergen um Prizren. Dort erzählt ihnen der Schuldirektor über seine fehlenden Schulräume und vom gefährlichen Schulweg, der Polizist von seinen Plänen für den Bau eines neuen Restaurants auf dem Berg und der Schäfer, der in der Schweiz gelebt hatte, von seiner Familie.
Fragen des Swisscoy-Teams über die Wahlen und die Anklagen gegen frühere UCK-Mitglieder wegen Kriegsverbrechen in Den Haag hingegen beantworten die Gesprächspartner an diesem Tag nur sehr zurückhaltend oder gar nicht. Die Hoffnung der Soldaten ist, dass sich die Leute bei einem späteren Kontakt mehr öffnen. Die gesammelten Informationen werden dann am Abend in Rapporten zusammengefasst und Kommandant Salvi gibt der Kfor-Zentrale diejenigen Informationen weiter, welche von Interesse sein könnten.
"Respekt und Vertrauen" in Uniform
Salvi ist überzeugt, dass die Swisscoy-Soldaten in "seinem Sektor" gerne gesehen sind. Die Leute schätzten ihre Präsenz und ihre Unabhängigkeit und brächten ihnen und der Uniform der Schweizer Armee Respekt und Vertrauen entgegen.
Die Kosovaren hätten halt "ein anderes Bild von Armeen", sagt Salvi. Ein Beweis dafür sei, dass die Leute gemäss Umfragen der Kfor mehr Vertrauen entgegenbrächten, als der kosovarischen Polizei. Deswegen könnten seine Leute auch mit allen Ethnien sprechen, "ob Kosovo-Serben oder Kosovo-Albaner".
Durch ihre Ausbildung und der logistischen Unterstützung durch die Kfor seien sie für die Aufgabe ausserdem besser gerüstet, als zum Beispiel zivile Beobachter. Und so hofft Salvi, dass er während der sechs Monate einen Beitrag zur Friedensförderung im Kosovo leisten kann.
Diesen Beweggrund für ihren Einsatz unterstreichen viele der befragten Swisscoy-Soldatinnen und -Soldaten. Daneben geht es ihnen aber auch um die persönliche Erfahrung und ihren Lebenslauf. Für die Kommandanten sind es die Führungspraxis im Ausland, für die Handwerker und Mechaniker zusätzliche fachliche Kompetenzen und für die Studienabgänger die praktische Umsetzung des Gelernten.
Doch trotzdem ist für die meisten von ihnen Ende März nächsten Jahres Schluss. Diesen ständigen Personalwechsel betrachtet Salvi aber nicht als Problem. "Denn wenn man zu lange bleibt, ist die Unabhängigkeit nicht mehr garantiert".
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