Völkerrecht | Umsetzung dürfte bei Annahme viel zu reden geben
Initiative zur Durchsetzung von Initiativen beschäftigt die Schweiz
Die Selbstbestimmungsinitiative der SVP wirft Grundsatzfragen zur direkten Demokratie auf. Ein Ja würde die Volksrechte stärken, sagen die Initianten. Die Gegner sehen den Rechtsstaat in Gefahr.
Die SVP will erreichen, dass angenommene Volksinitiativen wortgetreu umgesetzt werden müssen - auch dann, wenn sie völkerrechtliche Bestimmungen verletzen. Auslöser für die Selbstbestimmungsinitiative war ein Bundesgerichtsurteil, das der SVP missfiel.
Das Bundesgericht untersagte 2012 die Ausschaffung eines Ausländers, obwohl das Stimmvolk die Ausschaffungsinitiative der SVP angenommen hatte. Es berief sich auf die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) und die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte.
Vorrang für Schweizer Recht
Die Durchsetzungsinitiative der SVP zu Ausschaffungen lehnte das Stimmvolk später ab. Zur Debatte steht nun gewissermassen eine allgemeine Version davon: Die Initiative "Schweizer Recht statt fremde Richter" (Selbstbestimmungsinitiative) verlangt, dass die Bundesverfassung gegenüber dem Völkerrecht immer Vorrang hat - unter Vorbehalt zwingender Bestimmungen wie dem Folterverbot.
Wird eine Volksinitiative angenommen, die in gewissen Punkten mit einem internationalen Vertrag nicht vereinbar ist, dürfte die Schweiz den Vertrag nicht mehr anwenden - es sei denn, er unterstand dem Referendum. Sie müsste ihn neu verhandeln und nötigenfalls kündigen.
Volksrechte ohne Einschränkung
Der Volkswille soll also fast uneingeschränkt gelten, ohne das bisherige rechtsstaatliche Korrektiv. Die SVP macht geltend, die direkte Demokratie werde zunehmend ausgehebelt. "Was hier abläuft im Stillen, ist ein Staatsstreich", sagte SVP-Chefstratege Christoph Blocher bei der Lancierung der Selbstbestimmungsinitiative.
Mit dieser Haltung steht die SVP indes alleine da. Die anderen Parteien stellen sich geschlossen gegen die Initiative. Aus ihrer Sicht geriete damit das Verhältnis von Demokratie und Rechtsstaat aus den Fugen. Ohne starken Rechtsstaat drohe eine Willkürherrschaft der Mehrheit, argumentieren sie.
Schon heute Selbstbestimmung
Die Gegnerinnen und Gegner machen aber auch praktische Gründe geltend: Die Schweiz würde sich mit einem Ja zur Initiative gewissermassen vorbehalten, Verträge nicht einzuhalten, wann immer sie möchte. Damit würde sie zu einem höchst unverlässlichen Partner.
Justizministerin Simonetta Sommaruga stellte fest, die Schweiz entscheide bereits heute selber, welche Verträge sie abschliesse und welche nicht. Die Stimmbevölkerung habe dabei weitgehende Mitspracherechte. Komme es zu einem Konflikt mit einem internationalen Vertrag, habe die Schweiz heute verschiedene Lösungsmöglichkeiten. Die Selbstbestimmungsinitiative dagegen kenne nur einen Weg: Neu verhandeln, kündigen.
Schutz durch Menschenrechte
Gegen die Initiative kämpft auch eine "Allianz der Zivilgesellschaft", der Menschenrechtsorganisationen angehören. Mittelfristig liefe die Annahme auf eine Kündigung der EMRK hinaus, warnen sie. Die Menschen in der Schweiz verlören die Möglichkeit, sich in Strassburg gegen Grundrechtsverletzungen zu wehren.
Die Wirtschaft wiederum fürchtet um den Standort Schweiz. Die Initiative gefährde Stabilität, Verlässlichkeit und Rechtssicherheit, lautet das Argument ihrer Verbände. Internationale Verträge stünden unter Dauervorbehalt.
Verzicht auf Schocker-Plakate
Die SVP erklärte die Abstimmung zur wichtigsten seit jener zum EWR von 1992. Die Gegnerinnen und Gegner rechneten mit gewohnt provokativen SVP-Plakaten. Doch die Partei provozierte diesmal mit dem Verzicht darauf: Die Plakate und Flyer kamen betont moderat daher, als stammten sie von einer Mitte-Partei.
Für Kritik sorgte, dass auf dem Flyer, den die SVP an alle Haushalte verschickte, der Absender fehlte. Kein Parteilogo, dafür ein Zitat der ehemaligen SP-Bundesrätin Micheline Calmy-Rey, welche die Initiative ablehnt: Das sei eine hinterlistige Täuschung des Stimmvolkes, monierten die Gegner. Sie konterten mit einem trojanischen Pferd - eine Botschaft, die sich wohl auch nicht allen Stimmberechtigten auf Anhieb erschlossen hat.
Unklarer Bezug zur EU
Für Verwirrung dürften zudem die Bezüge gesorgt haben, welche die SVP herzustellen versuchte - etwa jenen zu einem möglichen künftigen Rahmenabkommen mit der EU. Ein solches unterstünde dem Referendum. Das Stimmvolk könnte also ohnehin entscheiden.
Dass die Masseneinwanderungsinitiative wegen des Personenfreizügigkeitsabkommens nicht wortgetreu umgesetzt wurde, diente der SVP ebenfalls als Beispiel für die Notwendigkeit der Initiative. Dieses Abkommen unterstand allerdings dem Referendum und wäre somit bei einem Ja zur Selbstbestimmungsinitiative für das Bundesgericht weiterhin massgebend.
Ausgang offen
Unabhängig von ihrem Lösungsvorschlag könnte den Initianten die Tatsache in die Hände spielen, dass in der globalisierten Welt vieles international und nicht mehr innerhalb nationalstaatlicher Grenzen geregelt wird.
Wie das Stimmvolk entscheidet, wird sich am 25. November zeigen. In den ersten Umfragen sprach sich zwar eine Mehrheit der Befragten gegen die Initiative aus, doch ist der Ausgang gemäss den Meinungsforschern offen.
Sollte die Initiative angenommen werden, dürfte die Umsetzung viel zu reden geben. So ist etwa unklar, wann ein "Widerspruch" zur Verfassung vorliegt und wer darüber entscheidet. Auch die Forderung, ein Vertrag müsse "nötigenfalls" gekündigt werden, lässt Fragen offen.
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