Wirtschaft | Eine Bedingung ist, dass die betroffenen Wirtschaftsbranchen nicht mehr voll funktionsfähig sind, weil Grenzgänger ausbleiben
Bundesrat legalisiert Betriebsschliessungen mit «Lex Ticino»
Der Bundesrat entschärft den Konflikt mit dem Kanton Tessin. Dieser hat mit der Schliessung von Baustellen und Betrieben gegen Bundesrecht verstossen. Das wird nun mit einer Verordnungsänderung nachträglich legalisiert.
Der Bundesrat kann einem Kanton künftig erlauben, kurzzeitig die Tätigkeit ganzer Wirtschaftsbranchen einzuschränken oder einzustellen. Voraussetzung ist eine besondere Gefahr für die Gesundheit der Bevölkerung aufgrund der epidemiologischen Situation.
Die Kantone können ein Gesuch um weitergehende Massnahmen aber nur dann stellen, wenn die Kapazitäten in der Gesundheitsversorgung auch nach Unterstützung durch andere Kantone nicht mehr ausreichen. Eine weitere Bedingung ist, dass die betroffenen Wirtschaftsbranchen nicht mehr voll funktionsfähig sind, weil Grenzgänger ausbleiben.
Beweislast bei Betrieben
Ausserdem müssen die Sozialpartner dem Entscheid zustimmen, und die Versorgung der Bevölkerung mit Gütern des täglichen Bedarfs sowie der Gesundheitseinrichtungen muss sichergestellt sein. Gehen die von einem Kanton getroffenen Massnahmen über die Ermächtigung des Bundesrates hinaus, so entfällt die Kurzarbeitszeitentschädigung des Bundes.
Betriebe, die glaubhaft die Massnahmen zum Abstandhalten und zur Hygiene erfüllen, können ihren Betrieb allerdings weiterführen. Die aktuelle vom Bundesrat getroffene Regel besagt, dass die Kantone lediglich einzelne Betriebe oder Baustellen schliessen können, welche die Massnahmen zum Abstandhalten und zur Hygiene nicht einhalten. Mit der Verordnungsänderung wird die Beweislast umgekehrt.
Wie Gesundheitsminister Alain Berset vor den Bundeshausmedien sagte, trägt die Regelung regionalen Gegebenheiten Rechnung. Im Tessin sei eine Ausnahmesituation klar gegeben. Die Zahl der Covid-19-Erkrankten sei dort dreimal so hoch, wie im Landesmittel.
Der Kanton sei stark mit dem Arbeitsmarkt in Norditalien verknüpft. Die Pandemielage in der Lombardei sei dramatisch. Für andere Kantone kämen Betriebs- und Baustellenschliessungen aktuell nicht in Frage, da sie sich klar nicht in einer Ausnahmesituation befinden würden. sagte Berset. Der Kanton Tessin sei wohl der einzige, der die Voraussetzungen bisher erfülle. Jedes Gesuch werde aber einzeln geprüft.
Längere Nachfrist für Mieter
Weitere Entscheide des Bundesrats betreffen die Miete: Die Regierung bekräftigt, dass das Zügeln unter Einhaltung der Hygiene- und Abstandsregeln des Bundesamts für Gesundheit (BAG) möglich ist. Zügelunternehmen und Immobilienbewirtschafter betonten, dass dies möglich sei. Das kommende Wochenende gilt vielerorts als offizieller Umzugstermin, was in der Regel zu rund 50'000 Umzügen führt.
Um Privatpersonen und Mieter von Geschäftsräumen zu unterstützen, hat der Bundesrat zudem die Nachfrist bei Zahlungsverzug von 30 auf 90 Tage verlängert. Gerät ein Mieter mit der Miete in Verzug, kann ihm der Vermieter nach Ablauf der Nachfrist kündigen. Die Kündigungsfrist beträgt nur 30 Tage.
Die längere Nachfrist gilt für Mieten, die zwischen dem 13. März und dem 31. Mai 2020 fällig werden, und "sofern die Mieterinnen und Mieter aufgrund von behördlich angeordneten Massnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus mit der Bezahlung der Mietzinse in Rückstand geraten".
Taskforce gebildet
Unter den gegenwärtigen Umständen sei das Risiko eines Zahlungsrückstands bei Mietzinsen stark erhöht, schreibt der Bundesrat. Auch das Risiko einer Kündigung sei gestiegen. Die Regierung ruft Vermieter- und Mieterschaft ausdrücklich dazu auf, sich gemeinsam um einvernehmliche Lösungen zu bemühen.
Parallel dazu verlängert der Bundesrat die Frist zur Zahlung fälliger Pachtzinse von 60 auf 120 Tage unter den gleichen Bedingungen. Als weitere Sofortmassnahme verlängert die Landesregierung die nach geltendem Recht sehr kurze Kündigungsfrist für möblierte Zimmer und Einstellplätze von zwei Wochen auf 30 Tage.
Um verschiedene weitere Massnahmen zu prüfen, hat Volkswirtschaftsminister Guy Parmelin Anfang Woche eine Taskforce eingesetzt. Das Gremium unter der Leitung des Direktors des Bundesamts für Wohnungswesen (BWO) vereinigt Verwaltung, Mieter- und Vermieterorganisationen, Immobilienwirtschaft sowie Städte und Kantone. Die Taskforce wird dem Bundesrat bei Bedarf weitere Massnahmen vorschlagen.
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