Abstimmungen | 1'501'500 Personen für Waffenvorlage, 1'541'000 für Staf
Beide eidgenössischen Vorlagen mit über 60 Prozent angenommen
Das Schweizer Waffenrecht wird verschärft. Das Stimmvolk hat die Übernahme der EU-Waffenrichtlinie am Sonntag mit 63,7 Prozent angenommen. Auch der AHV-Steuerkompromiss wurde angenommen, mit einem Ja-Stimmenanteil von 66,4 Prozent. Steuerprivilegien für internationale Unternehmen werden abgeschafft, dafür gibt es neue Erleichterungen für alle Firmen. Die AHV bekommt jährlich 2 Milliarden Franken zusätzlich.
Waffenrecht
Insgesamt haben rund 1'501'500 Personen die Waffenvorlage angenommen, 854'500 Personen haben dagegen gestimmt. In sämtlichen Kantonen mit Ausnahme des Kantons Tessin resultierte ein Ja. Die Tessiner Stimmenden lehnten die Vorlage mit 54,5 Prozent ab. Mit Luca Filippini hatte ein Tessiner das gegnerische Komitee angeführt.
Ein knappes Ja gab es in den Kantonen Schwyz mit 51,6, Obwalden mit 51,7 und Appenzell Innerrhoden mit 52,9 Prozent. Am deutlichsten stimmte der Kanton Basel-Stadt mit 75 Prozent für die Revision des Waffengesetzes, gefolgt von den Kantonen Genf mit 72,8, Neuenburg mit 72,6, Waadt mit 71,6 und Zürich mit 70,6 Prozent.
Widerstand der Schützen
Die klare Zustimmung war erwartet worden. In der letzten SRG-Umfrage hatten sich 65 Prozent für die Vorlage ausgesprochen. Den Gegnerinnen und Gegnern gelang in der Schlussphase kein Coup. Eine "Anti-Stimmung" gegen die Regierung sei nicht aufgekommen, sagte Lukas Golder vom Forschungsinstitut gfs.bern.
Die Änderungen des Waffenrechts vehement bekämpft haben die Schützen. Sie versuchten, die Abstimmung zum Votum über ein "EU-Diktat" zu machen. Damit scheinen sie aber auch in EU-kritischen Kreisen nur bedingt gepunktet zu haben, trotz Unterstützung der SVP. Diese muss im Wahljahr eine Niederlage in ihrem Kernthema hinnehmen, den Beziehungen zur EU. Zu den Siegerinnen gehört Justizministerin Karin Keller-Sutter, die ihren ersten Abstimmungserfolg verbuchen kann.
Bewilligung nötig
Mit dem Ja wird in der Schweiz die neue EU-Waffenrichtlinie umsetzt. Davon betroffen sind vor allem Käufer halbautomatischer Waffen mit grossem Magazin. Solche Waffen - beispielsweise Sturmgewehre - gelten neu als verbotene Waffen.
Im Schiessport können sie weiterhin verwendet werden, doch braucht es für den Kauf eine Ausnahmebewilligung statt wie heute einen Waffenerwerbsschein. Für die Bewilligung muss der Erwerbsgrund angegeben werden, zum Beispiel "Sportliches Schiessen".
Waffen melden
Wer eine solche Waffe erwerben will, muss zudem nach fünf und nach zehn Jahren nachweisen, dass er damit regelmässig schiesst oder Mitglied eines Schützenvereins ist. Wer bereits eine solche Waffe besitzt, muss sie innerhalb von drei Jahren dem kantonalen Waffenbüro melden, sofern sie noch nicht registriert ist.
Waffenhändler müssen sämtliche Transaktionen mit Waffen innerhalb von 20 Tagen elektronisch melden, und Waffenhersteller müssen alle wesentlichen Waffenbestandteile markieren. Das soll es der Polizei erleichtern, die Herkunft einer Waffe zu klären. Sammler und Museen müssen ein Verzeichnis führen.
Mehr Informationsaustausch
Ferner wird der polizeiliche Informationsaustausch zwischen den Schengen-Staaten verbessert. Im Informationssystem wird künftig ersichtlich sein, wem in einem anderen Land aus Sicherheitsgründen eine Waffe verweigert wurde.
Nichts ändert sich dagegen für Soldaten, welche die Ordonnanzwaffe bei Dienstende direkt übernehmen wollen oder bereits übernommen haben. Auch für Jägerinnen und Jäger bleibt alles beim Alten.
Spielraum ausgeschöpft
Ursprünglich standen weitergehende Bestimmungen zur Diskussion. Die Schweiz erreichte aber zusammen mit anderen Staaten, dass diese nicht in die EU-Waffenrichtlinie aufgenommen wurden. Auch bei der Umsetzung schöpfte der Bundesrat den Spielraum aus. Den Schützen geht das Gesetz dennoch zu weit. Sie sehen die Schweizer Schiesstradition und den Waffenbesitz gefährdet - und damit die Freiheit.
Die Gegner stören sich nicht nur an den beschlossenen, sondern auch an möglichen künftigen Verschärfungen. Die EU-Waffenrichtlinie soll alle fünf Jahre überprüft werden. Weitere Verschärfungen sind also möglich. In der Schweiz könnte gegen deren Übernahme allerdings erneut das Referendum ergriffen werden.
Unter dem Eindruck von Terror
Die Arbeiten zu den aktuellen Verschärfungen hatten in der EU schon vor Jahren begonnen. Entschieden hat die EU aber unter dem Eindruck der Terroranschläge in Paris und Brüssel. Bei diesen wurden halbautomatische Waffen eingesetzt, mit welchen in kurzer Zeit viele Schüsse abgegeben werden können.
Aus Sicht der Gegner sind die neuen Regeln gegen Terrorismus nutzlos. Der Berner SVP-Nationalrat Werner Salzmann äusserte im Abstimmungskampf die Vermutung, die Terrorismusbekämpfung sei nur ein Vorwand, um private Haushalte zu entwaffnen.
"I love Schengen"
Die Befürworter - alle grossen Parteien mit Ausnahme der SVP - sehen in den Änderungen durchaus einen Nutzen im Kampf gegen Waffenmissbrauch. Ihr zentrales Argument war allerdings die Schengen- und Dublin-Mitgliedschaft der Schweiz: Bei einem Nein hätte diese automatisch geendet - es sei denn, die EU-Kommission und sämtliche EU-Staaten wären der Schweiz innert 90 Tagen entgegenkommen.
Die Befürworter warnten vor verheerenden Folgen. Ohne Schengen hätte die Polizei keinen Zugang mehr zu den europäischen Fahndungsdatenbanken und wäre blind, argumentierten sie. Betroffen wären auch der Tourismus und das Asylsystem - und dies wegen geringfügiger Verschärfungen. Die Operation Libero warb mit dem Slogan "I love Schengen" für ein Ja.
Die Gegner stellten sowohl den Nutzen von Schengen als auch die Gefahr eines Ausschlusses der Schweiz in Frage, vermochten damit aber nicht zu überzeugen. Das Stimmvolk hatte die Teilnahme der Schweiz am Verbund von Schengen/Dublin 2005 mit 55 Prozent angenommen. Am Sonntag hat es diesen Entscheid nun bekräftigt.
AHV-Steuervorlage
2017 waren die Unternehmenssteuerreform III und die Reform der Altersvorsorge an der Urne gescheitert. Nun haben 1'541'000 Stimmberechtigte einer Verknüpfung beider Anliegen zugestimmt. 780'500 lehnten das Bundesgesetz über die Steuerreform und die AHV-Finanzierung (Staf) ab.
Eine Ja-Mehrheit gab es in allen Kantonen. In der Waadt, die schon früher eine Reform der Unternehmensbesteuerung beschlossen hatte, war der Ja-Stimmenanteil mit 80,7 Prozent am grössten. In Solothurn kamen mit 58,6 Prozent am wenigsten Ja-Stimmen zusammen. Dort wurde gleichzeitig über die kantonale Umsetzungsvorlage abgestimmt.
Das Ja zur Staf überrascht nicht. Umfragen hatten die Zustimmung an der Urne erwarten lassen. Überraschend ist aber die Deutlichkeit des Resultats. Die Gegner hatten unter anderem kritisiert, die Vorlage verletze die Einheit der Materie, weil sie zwei völlig sachfremde Themen miteinander verbinde.
Die Junge SVP warnte nach Bekanntwerden des Abstimmungsresultats vor einer "Aushöhlung der Demokratie". Die Waadtländer Linksaussenpartei POP will beim Bundesgericht Beschwerde führen. Die meisten Stimmberechtigten scheinen mit der Verknüpfung jedoch kein Problem gehabt zu haben.
AHV bleibt auf der Tagesordnung
Die bürgerlichen Jungparteien, Teile der SVP und die GLP hatten ausserdem kritisiert, dass zusätzliche Lohnprozente erhoben werden, ohne dass die strukturellen Probleme der AHV gelöst sind. Dieses Thema bleibt auf der Tagesordnung, eine AHV-Reform ist bereits aufgegleist.
Die Reaktionen am Sonntag gaben einen Vorgeschmack auf die kommende Auseinandersetzung. Das bürgerliche Gegnerkomitee verlangte umgehend eine Erhöhung des Rentenalters. Nach Ansicht der Linken hingegen ist eine AHV-Reform dank der Finanzspritze nicht dringend.
Trotz des Milliarden-Zustupfs für die Sozialversicherung hatten auch Grüne, Juso und gewerkschaftliche Kreise gegen die Staf gekämpft. Ihrer Meinung nach ersetzt diese die abgeschafften Privilegien für Unternehmen bloss durch neue Vergünstigungen. Die Linke will den Kampf nun in den Kantonen fortsetzen. In Solothurn, wo die Umsetzungsvorlage am Sonntag gescheitert ist, konnte sie bereits einen Erfolg verbuchen.
Bessere Legislaturbilanz
Auf nationaler Ebene haben sich SP, FDP, CVP, und BDP durchgesetzt. Die Koalition hatte dem AHV-Steuerkompromiss schon im Parlament zum Durchbruch verholfen. Auch die Bundesräte Alain Berset und Ueli Maurer dürfen sich zu den Abstimmungssiegern zählen. Beide hatten 2017 bei der Reform der Altersvorsorge und der Unternehmenssteuerreform III eine herbe Niederlage hinnehmen müssen.
Nicht zuletzt wegen diesen beiden Abstimmungen war bisher von einer "verlorenen Legislatur" die Rede gewesen. Nun sieht die Bilanz besser aus: Die AHV bekommt etwas Luft, so dass die nächste Reform mit weniger Druck angegangen werden kann. Zudem wird das Problem der international nicht mehr akzeptierten Steuerprivilegien auf wirtschaftsverträgliche Art und Weise gelöst.
Der Druck des Auslands auf die kantonalen Steuervergünstigungen für Holding- und andere Spezialgesellschaften hatte die Gesetzgebungsarbeiten überhaupt erst ausgelöst. Diese Unternehmen versteuern im Ausland erzielte Gewinne in den Kantonen heute kaum oder gar nicht.
Im Nachgang zur Finanzkrise geriet das Steuerregime ins Visier von EU und OECD. Sie verlangen seit Jahren die Abschaffung der Steuerprivilegien. Nach Annahme der Staf kann die Schweiz diese Forderung 2020 umsetzen. Damit ist die Gefahr des "Blacklistings" und der damit verbundenen Rechtsunsicherheit gebannt.
Steuerklima bleibt mild
Mit der Umsetzung der Staf steigt jedoch die Gewinnsteuerbelastung für viele der rund 24'000 betroffenen Unternehmen. Da diese eine grosse volkswirtschaftliche Bedeutung für die Schweiz haben, erlaubt der Bund neue Anreize, um die Firmen in der Schweiz zu halten. Dazu gehören die Patentbox oder zusätzliche Steuerabzüge für Forschung und Entwicklung. Diese Vergünstigungen gelten für alle Unternehmen und sind international akzeptiert.
Hinzu kommen die Pläne der Kantone, die Gewinnsteuersätze zu senken. Ein Zustupf von jährlich rund einer Milliarde Franken aus der Bundeskasse gibt ihnen den nötigen finanziellen Spielraum. Als politisches Zugeständnis an die Linke werden auf der anderen Seite die steuerfreien Rückzahlungen von Kapitaleinlagen und die Teilbesteuerung von Dividenden eingeschränkt.
Ebenfalls ein politisches Gegengeschäft ist der Zustupf zur AHV-Finanzierung von 2 Milliarden Franken pro Jahr. Auf den gleichen Betrag werden unter dem Strich die Kosten der neuen Steuervergünstigungen geschätzt. Die AHV-Zusatzfinanzierung wird teils durch höhere Beiträge, teils aus der Bundeskasse finanziert.
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