Wahlen | Fünf Fragen an die einstigen Mandatsträger Herbert Dirren (CSP), Daniel Lauber (CVP) und Peter Jossen (SP)
So sehen es drei Ehemalige
Herbert Dirren (78). CSP-Nationalrat vom 2.5.1977 bis 29.11.1987
«Heute schaut man sich kaum mehr in die Augen»
Wie haben Sie Ihren Wahlkampf damals erlebt?
«Meinen ersten Wahlkampf als Nationalratskandidat bestritt ich 1975. Hans Wyer war Mandatsträger und wie immer generalstabsmässig vorbereitet und organisiert. Wir andern nahmen es eher locker. Als er 1977 in den Staatsrat gewählt wurde, rutschte ich als Zweiter auf der Liste nach. Die Wiederwahl gelang mir 1979 mit grossem Vorsprung. Ich aktivierte alle meine Kontakte aus Beruf, Sport, Militär und Politik und habe auch das Unterwallis intensiv beackert. Wir Kandidaten pflegten unter uns ein sportliches, kollegiales, offenes Verhältnis. Wir waren gemeinsam in den Dörfern unterwegs. Ein paar wenige Medienauftritte lassen sich nicht mehr mit dem heutigen Stil vergleichen.»
Konnten Sie Ihre Ziele im Parlament verwirklichen?
«Für mich war immer klar, dass sich die Grundwerte christlichsozialer Politik nur einbringen lassen, wenn es der Wirtschaft gut geht. Entsprechend breit habe ich mich engagiert. Die Belange des kleinen Mannes waren mir genauso wichtig wie etwa jene der KMU, der Grossunternehmen, von Landwirtschaft, Tourismus und Bildung. Mit einer gewissen Distanz zeigt sich, wie sich die Geschichte wiederholt. Ich verhinderte damals den Ausbau der Gemmileitung, heute ist sie wieder ein Thema. Viola Amherd hatte inzwischen Erfolg mit der Streichung der Mineralölsteuer für Sonderfahrzeuge. Mein identisches Anliegen wurde in den 1980er-Jahren noch kommentarlos abgeschrieben. Oder ein weiteres Beispiel: Wir rechtfertigten damals den Bau des Furkatunnels. Heute wird für einen Tunnel an der Grimsel gekämpft.»
Wo sehen Sie für die Kandidaten die grössten Unterschiede zwischen gestern und heute?
«Zu meiner Aktivzeit als Politiker hatten die politischen Widersacher noch mehr gegenseitigen Respekt. Heute schaut man sich kaum mehr in die Augen, stattdessen fehlt, wenn ich an die Kolumnen von Peter Bodenmann und Oskar Freysinger denke, jeglicher Anstand. Der Wahlkampf ist heute aufwendiger und kostenintensiver, was viele Junge davon abhält, mitzumachen. Sie wägen Aufwand und Ertrag ab und lassen es dann sein, was sehr zu bedauern ist. Denn wir brauchen junge Leute. Ansonsten fehlt mir etwas die Klarheit der Profile. Vor den Wahlen wollen alle demokratisch, liberal, sozial und heute insbesondere auch grün sein. Da stülpen sich viele einen unrealistischen Deckmantel über, der nicht sonderlich glaubwürdig wirkt.»
Wie schätzen Sie die aktuelle Verfassung Ihrer Partei ein?
«Die CSPO ist besser aufgestellt, als sie die Medienschaffenden darstellen. Wir haben mit Roberto Schmidt und Thomas Egger zwei gute Mandatsträger. Auf sie können wir uns stützen, auch wenn die Organisation in der Partei vielleicht nicht alle zufriedenstellt. Ich vermisse vor allem den Kontakt zum Unterwallis. Es bräuchte in der C-Familie unbedingt wieder gemeinsame Fraktionssitzungen, wo sich wichtige Fragen abklären lassen. Daraus entstünden wichtige Allianzen, die für den Weg nach Bern notwendig sind. Im Bundeshaus hat die kleine CSP-Gruppe ihre Berechtigung und Akzeptanz. Sie sorgt für eine angepasste, nicht überbordende Sozial- und Familienpolitik. Von mir aus könnte die CVP in Bern Mitte-links wieder etwas mehr tun.»
Wie lautet Ihre Wahlprognose für den 20. Oktober 2019?
«Die CVP ist in Bern in der Rolle der Gejagten. In der gleichen Situation befindet sich die CSPO im Kanton Wallis. Das heisst, es braucht ein starkes Engagement, um die Ziele zu erreichen. Bringen wir unsere Leute an die Urne, sehe ich gute Möglichkeiten für ein konstantes Resultat, auch wenn die neuen Parteien die aktuellen Themen aktiv bewirtschaften. Das haben wir bei der CVP immer schon getan, wenn halt auch mit anderen Vorzeichen und Methoden. Wir sind eben breiter aufgestellt als jene, die sich jetzt nur noch um die Klimadebatte kümmern. Ich frage mich, warum es Rote, Grüne und Grünliberale geben soll, um sich dann alle um dasselbe kümmern zu wollen.»
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Daniel Lauber (82). CVP-Ständerat vom 28.11.1983 bis 24.11.1991.
«Die Wahlbudgets sind heute wesentlich happiger»
Wie haben Sie Ihren Wahlkampf damals erlebt?
«Mein Wahlkampf 1983 als Ständeratskandidat war intensiv. Die damals noch kaum existierenden Social Media wurden ersetzt durch Wahlkampfauftritte im Rahmen der Partei und der Gemeinden. Ich hatte im Zeitraum von sechs Wochen im Oberund Unterwallis von Oberwald bis Vouvry etwa 60 Wahlveranstaltungen meiner Partei zu bestreiten. Abgesehen von einigen Artikeln im ‹Walliser Boten› und im ‹Nouvelliste› und dem Parteiprogramm der CVPO waren diese das Hauptelement des anstrengenden Wahlkampfes.»
Konnten Sie Ihre Ziele im Parlament verwirklichen?
«Ich habe in den acht Jahren meiner Tätigkeit in der kleinen Kammer einiges erreicht. Mein Einsatz in den Schwerpunkten Verkehr, Energie und Umweltpolitik hat sich vor allem regionalpolitisch gelohnt. Als Präsident der Verkehrskommission des Ständerates (heute UVEK) habe ich mich für die NEAT am Lötschberg und den Knotenpunkt Visp mit Erfolg eingesetzt. Die Klassierung der Strassen in die beiden Vispertäler als Hauptstrassen A erfolgte dank meiner Interventionen. Ich erinnere hier an den Tunnel Stägjitschugge. Die Bewältigung der Folgen des Bergsturzes Randa war ein Herzensanliegen. Ein grosser Erfolg war meine Motion für unsere Gebirgswälder. Sie löste in den Gebirgskantonen für Wald, Forstbetriebe, Erschliessungen und Schutzbauten Bundesgelder von rund einer Milliarde Franken aus.»
Wo sehen Sie für die Kandidaten die grössten Unterschiede zwischen gestern und heute?
«Der Wahlkampf wird heute anders geführt. Social Media in all ihren Formen beanspruchen die Wahlkämpfer intellektuell stärker als früher. Die Wahlbudgets sind auch wesentlich happiger. Der direkte Kontakt zur Wählerbasis im Gespräch von Mann zu Mann, Mann zu Frau, Frau zu Mann ist heute eher weniger mehr gefragt. ‹Tempora mutantur et nos mutamus in illis› pflegte schon der Lateiner zu sagen. Oder zu Deutsch: Die Zeiten ändern sich und wir verändern uns mit ihnen.»
Wie schätzen Sie die aktuelle Verfassung Ihrer Partei ein?
«Die CVPO ist auch heute hervorragend aufgestellt und bestens positioniert. Wir haben das grosse Glück, mit Viola Amherd eine Bundesrätin in unseren Reihen zu haben. Und zwar eine Bundesrätin, die ihren Job im VBS mit Bravour und Charme macht. Zudem verfügt die CVPO über ein ausgewogenes Parteipräsidium, das die anstehenden Probleme unseres Kantons zu lösen versucht. Parteipräsidentin Franziska Biner hat jugendlichen Charme und begeisternden Schwung in die Partei gebracht. National hat die CVP trotz ihrer ausgezeichneten Themenbesetzung noch zu wenig Wähler erfasst. Parteipräsident Gerhard Pfister macht eine exzellente Arbeit und wird den Wählerschwund stoppen.»
Wie lautet Ihre Wahlprognose für den 20. Oktober 2019?
«Unser amtierender Ständerat Beat Rieder hat sich in seiner ersten Wahlperiode in der kleinen Kammer einen hervorragenden Namen erarbeitet. Beat Rieder ist heute auch im unteren Kantonsteil hoch angesehen und ist Garant dafür, dass der Stand Wallis auch in den nächsten vier Jahren mit ungeteilter Standesstimme sprechen wird. Unser neuer Nationalrat Philipp Matthias Bregy hat in seiner kurzen Amtszeit aufgezeigt, wo die Schwerpunkte seiner Arbeit angesiedelt sind. Es sind vielversprechende Akzente. Wir Oberwalliser werden auch mit voller Überzeugung den Namen der CVPU-Ständeratskandidatin Marianne Maret auf unser Ständeratsticket setzen. Meine Prognose für den kommenden Wahlherbst lautet: Beat Rieder und Marianne Maret werden spätestens im zweiten Wahlgang gewählt. Philipp Matthias Bregy wird als Nationalrat gewählt und die CVPO wird stärkste Partei im Oberwallis bleiben.»
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Peter Jossen (64). SP-Nationalrat vom 14.6.1999 bis 30.11.2003
«Bodenmann? Schlicht eine Tragödie»
Wie haben Sie Ihren Wahlkampf damals erlebt?
«Meinen schönsten Wahlkampf erlebte ich 1999. Am 14. Juni war ich für Staatsrat Thomas Burgener in den Nationalrat nachgerutscht – und schon begann der Wahlkampf für die Wiederwahl im Herbst. Es war eine sehr intensive Zeit. Ich nutzte jede Möglichkeit, um mit den Leuten in Kontakt zu treten nach dem Motto: ‹Man muss Menschen mögen›. Denn mir war klar: Wer nichts gibt, bekommt auch nichts zurück. Zusammen mit Stéphane Rossini gelang es mir, für die SP zwei der sieben Walliser Nationalratssitze zu gewinnen. Wir harmonierten sehr gut und ergänzten uns auch thematisch. Aus dieser Zeit erwuchs eine gute Beziehung zu ihm mit Langzeitwirkung.»
Konnten Sie Ihre Ziele im Parlament verwirklichen?
«Ich konnte massgeblich dazu beitragen, dass das SBB-ContactCenter nach Brig vergeben wurde. Sehr gefreut hat mich auch die damalige Wahl von Micheline Calmy-Rey in den Bundesrat. Die Partei fuhr hier eine gewagte und zugleich kluge Strategie, die letztlich belohnt wurde. Wir konnten eine Frau in die Regierung bringen, die nicht nur typische SP-Themen vertrat, sondern auch in der Finanz- und Aussenpolitik Akzente setzte. Sicher ist, dass der persönliche Einfluss durch ein solches Mandat deutlich wächst – und nachwirkt. Ohne den Titel Nationalrat wäre ich nicht Präsident der Schweizer Wanderwege und deren heutiger Ehrenpräsident geworden. Und auch nicht kürzlich gewählt worden zum VR-Präsidenten der Bio Inspecta-Holding, die heute in zahlreichen Ländern Betriebe im biologischen Landbau kontrolliert und zertifiziert.»
Wo sehen Sie für die Kandidaten die grössten Unterschiede zwischen gestern und heute?
«Den heutigen Kandidaten sitzen rund um die Uhr die Erwartungen der sozialen Medien im Nacken. Diese Intensität ist gegenüber meiner Zeit als aktiver Politiker wohl um 200 Prozent gewachsen. Sie verlangt nach Statements zu Themenbereichen, die über die Fachkompetenzen hinausreichen. Ich sehe auch in meiner Tätigkeit als Anwalt und Notar, wie die sozialen Medien den Rhythmus bestimmen. Gut finde ich diese Entwicklung nicht.»
Wie schätzen Sie die aktuelle Verfassung Ihrer Partei ein?
«Die nationale SP-Fraktion besitzt eine gute Mischung. Es gibt verschiedene junge Frauen und Männer unter 30 Jahren, die ihren Weg machen und die Partei künftig reissen werden. Im Herbst werden mehrere Schwergewichte nicht mehr antreten. Sie ohne Mandatsverluste zu ersetzen, ist eine Frage der Mobilisierung. Ich bin da zuversichtlich. Auf dem kantonalen Parkett ist der Konflikt zwischen Esther Waeber-Kalbermatten und Stéphane Rossini bei den letzten Staatsratswahlen noch nicht überall vergessen und wird seine Auswirkungen haben. Was sich der vormalige Parteipräsident der SP Schweiz leistet, ist ebenfalls nicht förderlich, ja schlicht eine Tragödie. Wie kann sich ein und dieselbe Person im Impressum der ‹Roten Anneliese› aufführen lassen und gleichzeitig als Schreiber beim SVP-Kampfblatt ‹Weltwoche› auf der Lohnliste stehen?»
Wie lautet Ihre Wahlprognose für den 20. Oktober 2019?
«Im überparteilichen Vorstand von ‹Canal9› haben wir vereinbart, sich zu dieser Frage nicht dezidiert zu äussern. Grundsätzlich kann ich anführen, dass Mut belohnt wird. Das bewies vor vier Jahren Beat Rieder mit einer beherzten Kampagne. Ich bin überzeugt, dass er diesmal zu Recht wiedergewählt wird. Beim Nationalrat werden die Mittel- und Unterwalliser Städte entscheiden, ob es dank der Grünen für das linke Lager einen zweiten Sitz gibt. Bei den Grünen kandidiert übrigens auch mein Sohn Jonas. Wie ich damals als Spross einer eingesessenen CSP-Familie den Weg zur SP einschlug und damit nicht nur Freude weckte, hat nun auch er seine politische Farbe eigenständig ausgewählt. Ich finde das gut.»
Bearbeitung: Thomas Rieder
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