Kurtaxenreglement | Drohschreiben der IGs des Aletschplateaus
«Wenn ihr annehmt, dann…»
Die IG Bettmeralp, die IG Fiescheralp sowie die IG Riederalp geben der Lokalbevölkerung mittels Flugblatt eine klare Abstimmungsempfehlung für die Urversammlung mit: Stimmt beim Kurtaxenreglement Nein. Ansonsten könnten unerwünschte Folgen eintreten.
Das Flugblatt landete am Donnerstagmorgen in den Briefkästen der Einwohner der Gemeinden Fiesch, Bettmeralp und Riederalp. Wenige Tage vor den Abstimmungen über das neue Kurtaxenreglement starten die Zweitwohnungsvereine der Riederalp, Bettmeralp und Fiescheralp in die Schlussoffensive. Und zeigen sich dabei von ihrer vermeintlich hilfsbereiten Seite. Eine Liste von möglichen Folgen soll dem Stimmvolk vor Augen führen, was es mit einem Ja zum Reglement allenfalls zu verantworten hätte: Gäste müssten wegen der teureren Ferien vermehrt auf Restaurantbesuche verzichten. Selbiges gilt für alle anderen Konsumgüter. Für gewisse Familien wäre ein Urlaub auf dem Aletschplateau überhaupt nicht mehr erschwinglich. Weitere Konsequenzen: eine Schwächung der Hotellerie, rückläufige Gästezahlen. Und als Retourkutsche ans einheimische Gewerbe: weniger Aufträge von verärgerten Zweitwohnungsbesitzern. Eine Auflistung, die abschreckt. Und die gemäss IGs in Abwanderung und erodierenden Immobilienpreisen enden könnte. Darüber hinaus stellen die Interessenvereine bereits den Gang vors Bundesgericht in Aussicht, sollten die Urversammlungen die Reglemente annehmen.
Was taugen die Argumente?
Ein Drohkatalog, der den drei Gemeindepräsidenten Peter Albrecht, Riederalp, Bernhard Schwestermann, Fiesch, sowie Iwan Eyholzer, Bettmeralp, sauer aufstösst: «Das kommt einer Erpressung gleich. Wenn ihr annehmt, dann…», fasst Eyholzer zusammen.
Neben der Auflistung von möglichen Konsequenzen liefern die Zweitwohnungsvereine auch eine Reihe von Gründen, warum das Reglement in seiner jetzigen Form abzulehnen sei. Darunter die aus ihrer Sicht zu hohen Logiernächtezahlen, die «abschreckende Erhöhung» und die fehlende Berücksichtigung ihrer Anliegen. Dabei werden mehrere Quervergleiche zu anderen Ferienorten angestellt. Doch wie viel bleibt von den Argumenten übrig, nimmt man diese einmal etwas genauer unter die Lupe?
Angefangen beim durchschnittlichen Belegungsgrad, der in die Berechnungen der Zweitwohnungspauschalen einfliesst. Die 57 Nächte, die eine Ferienwohnung auf der Bettmer- und der Fiescheralp im Durchschnitt pro Jahr belegt sein soll, sowie die 50 Nächte auf der Riederalp seien viel zu hoch angesetzt. So hätten gleich mehrere Gemeinden infolge der Bundesgerichtsentscheide die Übernachtungszahlen im Reglement auf zwischen 24 und 30 Nächte reduzieren müssen. Diese Aussage trifft so jedoch nur für kleine Tourismusgemeinden wie Unterbäch oder Bürchen zu. Leukerbad hingegen korrigierte den Belegungsgrad von 60 auf 50. Und Saas-Fee rechnet nach wie vor mit 60 Nächten. Die 57 respektive 50 Durchschnittsnächte auf dem Aletschplateau wurden gemäss Roger Michlig nach demselben Modell berechnet wie die 50 in Leukerbad. Der Geschäftsführer des Regions- und Wirtschaftszentrums Oberwallis, der die Gemeinden bei den Reglementen eng begleitet, ist deshalb überzeugt, dass die Zahlen im Bundesgerichts-Jargon «statistisch untermauert» sind. Nach Aussage von Iwan Eyholzer sind 100 bis 120 Vermietungstage auf der Bettmeralp ein absolut realistischer Wert.
Ein nächster Kritikpunkt: Die aus Sicht der drei IGs «abschreckende Erhöhung» der Kurtaxe von 2.50 auf 4.90 Franken. Damit liegt man tiefer als Saas-Fee (5.50 Franken), Leukerbad (6 Franken) oder Bellwald (5.80 Franken). Das lassen die IGs so jedoch nicht gelten und verweisen auf Verbier (4 Franken) und Zermatt sowie Crans-Montana (jeweils 3 Franken). Das Problem hierbei: Beispielsweise in Zermatt fährt im Sommer niemand dank Gästekarte «gratis» Seilbahn. Ein Zahlenvergleich ohne Gegenüberstellung der Leistungspakete macht folglich keinen Sinn.
Nicht-Vermieter beteiligen
Auch der absolute Betrag, die maximal 1676 Franken, auf die eine Zweitwohnungspauschale bei einer 5½-Zimmer-Wohnung auf der Bettmer- oder Fiescheralp neu ansteigen würde, sind den drei Vereinen ein Dorn im Auge. Zum Vergleich: In Leukerbad geht es hoch bis 1800 Franken, in Saas-Fee auf bis zu 1980 Franken. Was dabei nicht ausser Acht gelassen werden darf: Eine neue 3½-ZimmerWohnung auf der Riederalp kostet an guter Lage fast eine Million Franken. Die Immobilienpreise auf dem Aletschplateau sind nach Zermatt im Oberwallis mit die höchsten. Auch deutlich ältere, renovationsbedürftige Wohnungen liegen für Otto Normalverbraucher ausser Reichweite. Der Besitz einer Zweitwohnung an dieser Lage gilt als Luxusgut.
Die seit Jahren steigenden Preise – dies, obwohl die Logiernächtezahlen in der Aletsch Arena von 2009 bis 2016 stark zurückgingen – zeigen zudem: «Die Wohnungen werden immer öfters von Leuten gekauft, die nicht auf eine Vermietung angewiesen sind», so Eyholzer. Mit der Pauschalisierung wollen die Gemeindepräsidenten hier ein Gegengewicht schaffen. Und dafür sorgen, dass die Nicht-Vermieter ihren Anteil an der touristischen Infrastruktur und der angestrebten Destinationsentwicklung leisten. «Ansonsten verlieren wir mehr und mehr an Wertschöpfung und damit auch Arbeitsplätze, was schlussendlich zu Abwanderung führt», sagt Eyholzer weiter.
Nicht angehört. Oder doch?
Man habe die Interessengruppen der Zweitwohnungsbesitzer auch nie angehört, lautet ein nächster Kritikpunkt – und ihre Bedürfnisse entsprechend nicht berücksichtigt. Dem widersprechen die Gemeindepräsidenten vehement. Eyholzer und Schwestermann geben Auskunft, dass sie sich mit Vertretern der IG Bettmeralp beziehungsweise der IG Fiescheralp getroffen haben (die IG Riederalp existierte zu diesem Zeitpunkt noch nicht). Bei dieser Gelegenheit zeigte Schwestermann der IG auch auf, wie günstig Ferienwohnungen bei den Gebühren seien – unter anderem aufgrund der sehr tiefen Eigenmietwerte, wie er sagt.
Als Reaktion auf die kritischen Stimmen präsentierten die Verantwortlichen des Kurtaxen-Projekts am 7. Oktober ein überarbeitetes Reglement, bei dem die Kurtaxe statt 5.80 noch 4.90 Franken betrug. Dafür habe man beim Angebotspaket zusammengestrichen, was irgendwie möglich war. Jedoch nicht, ohne das Ziel aus den Augen zu verlieren. Die sechs Gemeinden Mörel-Filet, Riederalp, Lax, Bettmeralp, Fiesch und Fieschertal wollen die Aletsch Arena mit der Einführung einer attraktiven elektronischen Gästekarte fit für den Sommertourismus machen – die Karte soll dem Gast die freie Nutzung praktisch aller Beförderungsanlagen in der gesamten Destination gewähren.
Mit dem UNESCO-Weltnaturerbe verfügt man über gewaltiges Potenzial im Sommer, sind sich die Touristiker in der Region mehrheitlich einig. Für den Ausbau des Sommertourismus sei eine Erhöhung der Kurtaxe «kein realistisches Szenario», schrieben hingegen die drei IGs in einem Leserbrief im WB. Bei den Gemeinden sieht man gerade in der Einführung dieses Reglements den ersten wichtigen Schritt. Mittlerweile drei Jahre dauern die Arbeiten daran. Am Montag (Gemeinde Riederalp) und am Dienstag (Bettmeralp und Fiesch) wird es sich an den Urversammlungen entscheiden. Wird das Reglement in einer der drei touristisch grössten Gemeinden der Aletsch Arena abgelehnt, ist das Projekt gestorben. Für die sechs Gemeindepräsidenten hört sich dieses Szenario schlimmer an als jede Drohung.
Martin Schmidt
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