Viola Amherd | Ein Urteil. Eine Berufung. Einige Zweifel
Verzettelt?
Über acht Jahre lang sollen die Amherd-Erben unter der Federführung der Briger Nationalrätin zu viel Miete einkassiert haben. Die Mieterin, die Alpiq InTec, fordert nun den Betrag, der sich in der Zwischenzeit auf eine Viertelmillion Franken summiert hat, über den Rechtsweg zurück. Und bekommt in erster Instanz grossmehrheitlich recht. Der Fall ist derzeit beim Kantonsgericht in der Warteschleife. Und hängt bedrohlich über Amherds möglichen Bundesratskandidatur.
252 468 Franken. So viel sollen die Amherd-Erben der Alpiq InTec, einer Tochter der Alpiq Holding, zurückzahlen. Dazu kommen Gerichtskosten in der Höhe von 18 190 Franken, was knapp 85 Prozent der bisherigen Verfahrenskosten ausmacht. Und eine Parteienentschädigung von 17 425 Franken.
Es ist dicke Post, welche die Politikerin im vergangenen Mai vom Bezirksgericht Brig, Östlich Raron und Goms erhalten hat. Weil die geforderte Summe insgesamt fast an die 300 000 Franken geht; was in etwa zwei Jahresentschädigungen eines Bundesparlamentariers entspricht. Und weil das erstinstanzliche Urteil so deutlich ausfällt. Viola Amherd, die während des ganzen Falls für die Erbengemeinschaft auftritt und verhandelt, hat Berufung eingelegt. Doch um was geht es?
Die Vorgeschichte
Um den Rechtsstreit zu verstehen, muss man ausholen und zurückblicken. Weit zurück. Im April 1985 schliesst Albert Amherd als Vermieter einen Mietvertrag ab mit seinen elektrischen Unternehmungen, der Albert Amherd AG. Dieser umfasst mehrere Immobilien, unter anderem Geschäftslokalitäten in Glis und Lax. Damals bei knapp 5100 Franken gestartet, beträgt der monatliche Mietzins (indexiert) ab den 2000er-Jahren 7030.50 Franken.
Nach dem Tod des Unternehmers 1999 verwalten fortan die beiden Töchter die Liegenschaften. Die Federführung der Erbengemeinschaft übernimmt die jüngere der beiden, Viola Amherd, zu der Zeit aufstrebende Lokalpolitikerin und Anwältin. 2004 wird die Albert Amherd AG von der Atel Gebäudetechnik West AG geschluckt, die ihrerseits 2016 von der Alpiq InTec West AG übernommen wird.
Während sich die Firmenstrukturen und Generationen ablösen, bleibt das Mietverhältnis zwischen den Amherd-Erben als Vermieter und dem Unternehmen als Mieterin bestehen. Bis im Mai 2015. Ein Jahr zuvor stellt die Firma fest, dass man in den letzten Jahren irrtümlicherweise zu viel Miete überwiesen hatte. Viel zu viel. Und viel zu lange. Man beginnt zu rechnen und fordert die Amherd-Erben auf, den zu viel bezahlten Mietzins zurückzuerstatten. Diese denken nicht daran. Im August 2016 reicht Alpiq InTec Klage ein. Was erwägt das Gericht?
Das Urteil des Bezirksgerichts
Die Sichtweisen beider Parteien könnten unterschiedlicher nicht sein. Laut Gerichtsurteil, das dem «Walliser Boten» vorliegt, stellt sich Viola Amherd auf den Standpunkt, wonach der ursprüngliche Vertrag zwischen ihrem Vater und den Vorgänger-Firmen von Alpiq InTec von 1985 bis heute gültig sei. Der monatliche Mietzins: 7030.50 Franken. Die Alpiq-Tochter ihrerseits stützt sich derweil auf einen neuen Vertrag, der im Jahr 2005 aufgesetzt worden sei und ab dem 1. Januar 2006 gelte. Neuer Mietzins: 4322.50 Franken, also monatlich 2708 Franken weniger als zuvor. Was gilt also?
Für das Bezirksgericht ist der Fall sonnenklar. In allen bedeutenden Punkten gibt es der Klägerin Alpiq InTec recht. Demnach bestehe sehr wohl ein neuer Mietvertrag, der 2005 von beiden Parteien unterzeichnet worden sei, mit dem monatlichen Mietzins von neu 4322.50 Franken. Mehr noch: Viola Amherd selbst habe den Mietvertrag für die Alpic-Vorgängerin aufgesetzt und ihr im Juli 2005 zugesandt. Mit der Bitte, «das Vertragsformular sowie das angeheftete Beiblatt mit den detaillierten Mietzinsen unterzeichnet und datiert an mich zurückzuschicken». Was die Mieterin auch tat. Und es sei Viola Amherd selbst gewesen, die im Namen der Erbengemeinschaft das «Beiblatt mit den detaillierten Mietzinsen» persönlich unterzeichnet habe. Laut Urteil habe dies die CVP-Nationalrätin bei der Befragung vor Bezirksgericht denn auch bestätigt. In seinem Urteil hält das Gericht deshalb fest: «Diese Entstehungsgeschichte lässt keinen Zweifel daran offen, dass der von der Mieterin am 24. August 2005 unterzeichnete Mietvertrag von den Parteien (spätestens) durch diese Unterzeichnung durch die Beklagte 1 (Red. Viola Amherd) am 16. September 2005 zustande kam.»
Auch sonst lasse das Verhalten von Amherd keine anderen Schlüsse zu, «als dass ab 1. Januar 2006 ein neuer Mietvertrag galt», heisst es im Urteil weiter. So habe sie, als sich mit Alpiq keine Einigung abzeichnete, den Eingang deren Kündigung eben jenes «Mietvertrags vom 1. Januar 2006» anstandslos quittiert. Und ein Jahr zuvor, als Alpiq die zu hohen Mietzinsen bemerkte, habe sie anlässlich eines Gesprächs im September 2014 der Bezahlung des «richtigen» Betrags in Höhe von 4322.50 Franken per sofort zugestimmt.
Und Alpiq? Warum hat das Unternehmen die zu hohen Mieten erst 2014 bemerkt und damals weiterhin den alten, zu hohen Betrag bezahlt? Hier sieht es das Bezirksgericht als erwiesen an, dass der damalige Filialleiter in Brig-Glis per Ende des Jahres 2005 aus der Unternehmung ausschied, weshalb der Dauerauftrag betreffend den Mietvertrag 2005 nicht angepasst wurde. «Irrtümlich wurde so der ab 1. Januar 2006 tatsächlich vereinbarte tiefere Mietzins in der Höhe von 4322.50 Franken bei dessen monatlichen Überweisungen nicht berücksichtigt.» Der Irrtum sei aus Mieter-Sicht auch deshalb unbemerkt geblieben, weil vom entsprechenden Firmenkonto Zahlungen von insgesamt über einer Million Franken mit sehr vielen Detailpositionen getätigt wurden, argumentiert das Gericht. Erst als man ein Neubauprojekt in Gamsen ins Auge fasste und umfänglich plante, wurde der Fehler entdeckt.
Die Berufung
Viola Amherd ficht das Urteil vollumfänglich an. In ihrer Berufung, die sie im Juni beim Kantonsgericht eingereicht hat, argumentiert sie – vertreten durch ihren Kanzlei-Kollegen Urban Carlen – auf verschiedenen Ebenen. Zum einen bemängelt sie gewisse Beweismittel, die ihrer Ansicht nach rechtswidrig beschafft worden sind. Aussagen, die sie im Vorfeld des Verfahrens bei Vergleichsgesprächen getätigt habe, dürften nicht berücksichtigt werden, da sie diese als Anwältin und im Vertrauen gemacht haben will; darunter sind auch Aussagen, die das Bezirksgericht darin bestärkten, von einem vereinbarten Vertrag zwischen beiden Parteien auszugehen. Zum anderen, argumentiert Amherd weiter, liege bei genauer Betrachtung «auch gar kein Irrtum der Klägerin» vor. Dass sie zu viel gezahlt habe, liege höchstens an einer «schlechten Organisation» oder der «ungenügenden Vermittlung von Wissen» innerhalb der Alpiq-Vorgängerin.
Wenn überhaupt. Denn in ihrer Berufung streitet die Nationalrätin ab, dass es jemals zu einem Abschluss eines neuen Vertrags gekommen ist. Es sei nicht klar, um wessen Unterschriften es sich seitens Mieter handelt und ob die damals unterzeichnenden Personen überhaupt zeichnungsberechtigt waren. Die Vermieter, also sie selbst, hätten zudem den Mietvertrag gar nie unterschrieben. Und das von Amherd unterzeichnete Beiblatt mit der Auflistung der Kosten? Das «allfällige Unterzeichnen eines angeblichen Beiblattes», so Amherd, vermöge «das Schriftlichkeitserfordernis für den Mietvertrag so oder so nicht zu ersetzen». Oder anders ausgedrückt: Wenn es denn überhaupt einen Vertrag geben sollte, ist er aus Amherds Sicht ohnehin nicht rechtens.
Die Kandidatur
Hat sich Viola Amherd in diesem Fall verzettelt? Oder ist die erstinstanzliche Justizbehörde zu grob reingefahren? Egal, wie das Kantonsgericht entscheiden wird, der Fall kommt für Amherd zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt. Die CVP-Nationalrätin wird schweizweit als Favoritin für die Nachfolge von Doris Leuthard im Bundesrat gehandelt. Und dabei sind sich alle einig: Die Brigerin ist fleissig, dossiersicher, ein Arbeitstier. Und zuverlässig. Nun drohen Kratzer an diesem Sauber-Image. Glaubt man Amherds Version, hätte der Rechtsstreit wohl vermieden werden können, hätte man allfällige Unklarheiten von Beginn an bereinigt. Glaubt man dem Briger Bezirksgericht, hat es Amherd einfach darauf ankommen lassen. Mehr noch: «Im zu beurteilenden Fall», hält das Gericht fest, hätte sie «mit einer Rückerstattung der Bereicherung seit mehreren Jahren rechnen» müssen. Hinzu kommt das überladene Kantonsgericht. Der Fall dürfte dort frühestens in einem halben Jahr auf den Stapel kommen. Ob dieses Damoklesschwert in der Hand der Justitia ihre Überlegungen für eine allfällige Bundesratskandidatur beeinflusst? Man habe bis dato keine Kenntnis vom Fall, heisst es seitens der Parteileitung der CVP Schweiz. Und: Viola Amherd sei noch nicht Kandidatin.
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Viola Amherd nimmt Stellung:
«In guten Treuen»
Viola Amherd, für das Bezirksgericht ist klar, dass 2005 ein neuer Mietvertrag zwischen beiden Parteien zustande kam. Sie hätten diesen aufgesetzt, der Mieterin geschickt und das entsprechende Beiblatt unterschrieben. Bestreiten Sie diese Version?
«Die Erbengemeinschaft Amherd teilt die Schlussfolgerungen des Bezirksgerichts nicht. Darum haben wir das Urteil beim Kantonsgericht angefochten. Ich habe in diesem Zusammenhang vor dem Bezirksgericht Folgendes gesagt: ‹Ich weiss, dass ich mit Richard Schmid (Red. damaliger Filialleiter) damals verhandelt habe und das Blatt mit den Mietzinsen unterzeichnet habe. Das war eine Diskussionsgrundlage. Nach meinen Unterlagen, die ich nochmals durchsucht habe, ist dieser Mietvertrag von unserer Seite nie unterzeichnet worden. Meiner Meinung nach haben wir uns betreffend den Mietvertrag 2005 nicht geeinigt und dieser kam nicht zustande. Die Detailverhandlungen weiss ich jedoch nicht mehr. Das ist zu lange zurück.›»
Wenn dieser Mietvertrag nicht zustande kam: Warum haben Sie die Kündigung von ebenjenem Mietvertrag quittiert?
«Im Jahre 2015 habe ich mit den neuen Verantwortlichen der Alpiq Gespräche geführt. Auch bei diesen Gesprächen hat sich die Erbengemeinschaft Amherd auf den Standpunkt gestellt, dass kein neuer Mietvertrag mit einem tieferen Mietzins zustande gekommen ist. Ich habe in meinen Unterlagen keinen von den Erben Amherd unterzeichneten neuen Mietvertrag gefunden. Die Alpiq hat mir 2015 einen angeblich neuen Mietvertrag zugestellt. Dieser war aber nur von Vertretern der Alpiq unterzeichnet. Die Kündigung im Jahr 2015 unter Berufung auf einen Mietvertrag vom 1. Januar 2006 hat die Alpiq verfasst, nicht die Erben Amherd. Ich habe bloss den Empfang des Kündigungsschreibens quittiert. Abgesehen davon gab es keinen Mietvertrag vom 1. Januar 2006, wie im Kündigungsschreiben erwähnt. Selbst nach Ansicht der Alpiq würde ein allfälliger neuer Mietvertrag ja vom 24. August 2005 datieren.»
Haben Sie die CVP-Parteileitung informiert?
«Vorerst habe ich mich noch nicht entschieden, ob ich Bundesratskandidatin sein werde. Selbstverständlich werde ich die CVP Schweiz und die CVP Oberwallis über diese Zivilrechtsstreitigkeit informieren, falls ich mich als Bundesratskandidatin stellen sollte. Meines Erachtens handelt es sich um eine reine Zivilstreitigkeit, wie es viele gibt. Zwei Parteien haben verschiedene Standpunkte bezüglich eines Vertragsverhältnis. Dann muss halt ein Gericht entscheiden. Meines Erachtens sollte eine solche Zivilrechtsstreitigkeit keine Auswirkungen auf ein politisches Mandat haben. Ansonsten dürfen Mandatsinhaber in Zukunft ja nicht einmal mehr ihren persönlichen Standpunkt vertreten. Ich vertrete meine Position in guten Treuen.»
Das Kurzinterview wurde schriftlich geführt.
David Biner
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