Ski alpin | Loïc und Mélanie Meillard aus Hérémence gehören weltweit zu den grössten Skitalenten. Dabei spielte Ski Wallis eine grosse Rolle
Eine schrecklich gute Familie
Von Hérémence im Val d’Hérens bis nach Bôle bei Neuenburg sind es rund 180 km. Das ist, weil weitgehend auf der Autobahn, in anderthalb Stunden zu machen. Ein Weg, versteht sich.
Auf dieser Strecke und in diesen 90 Minuten ist Anfang 2009 ein Entscheid gefallen, der das ganze Leben einer Familie bis heute nachhaltig prägt. Und so wie es aussieht, wird das Resultat jenes Autogesprächs womöglich auch die Geschichte der Schweizer Skination nachhaltig beeinflussen.
Die Autofahrt 2009
Als die wegweisende Idee der Eltern unterwegs reifte und bei der Ankunft ausgesprochen war, träumten die beiden erschöpften Kinder bereits im Fond des Wagens. Und es war vielleicht eine der schnellsten Transformationen, die einem Sportler oder einer Sportlerin in jungen Jahren widerfahren war.
Als Bruder und Schwester nämlich einschliefen, waren sie noch Neuenburger, als sie aufwachten, waren sie Walliser.
Die Idee der Familie Meillard bestand nämlich darin, das Zuhause und die Heimat ganz unschweizerisch mit Sack und Pack zu verlassen und aus dem Neuenburgischen in die Walliser Berge zu ziehen. Heute können sie die grosse Mauer der Grand Dixence sehen, gucken sie aus dem Fenster oder sitzen sie draussen im Garten des eigens gebauten Heimes. Vater Jacques: «Man muss die Berge und die Abgeschiedenheit schon lieben. Sonst macht man so was nicht.»
Der Grund des plötzlichen Umzugs waren die hoch talentierten skirennfahrenden Kinder. So war es vor neun Jahren, und deshalb sagt Sohn Loïc heute: «Ich bin Walliser. Ein Walliser, einfach mit Neuenburger Wurzeln.»
Das ist die Geschichte, die wir hier erzählen wollen. Die Geschichte der Meillards, der schrecklich guten Familie mit dem talentiertesten Geschwisterpaar der Skischweiz. Wer mit dem Leukerbadner Swiss-Ski-Trainer Jörg Roten spricht, der vernimmt beispielsweise über Loïc: «Der Typ ist super charakterlich, super athletisch, super technisch, super konditionell. Ansonsten ist man in dem Alter auch nicht in der Weltspitze.»
Auch Denis Wicki hat so seine Erinnerungen, als der Trainer des Schweizerischen Skiverbandes im Sommer erstmals mit Mélanie auf dem Gletscher von Zermatt stand. «Sie war neu im Kader und nahm drei Paar Skischuhe mit, um sie zu testen. Drei Paar Skischuhe, und das mit 16 Jahren. Das hatte ich so tatsächlich noch nie erlebt.» Von nirgends kommt die enge und lustvolle Beziehung von Loïc (21) und Mélanie Meillard (19) zum Skirennsport nicht. Ihr Vater war unter anderem Geschwindigkeitsfahrer; Schweizer Meister und Vierter an den Weltmeisterschaften. «Bei 230 km/h atmest du nicht mehr viel», sagt er über die damaligen Speederfahrungen und lacht.
Die Eltern kamen bereits mit 20 ins Wallis, um Skischule zu geben
Überhaupt sind Jacques (50) und seine Ehefrau Carine Meillard (51) seit jeher eng mit dem Skisport verbunden. Mit 20 Jahren waren die Neuenburger ein Paar und kamen immer wieder nach Hérémence, um dort Skischule zu geben. «An den Wochenenden», so Jacques, «waren wir immer im Wallis. Auch mit den Kindern kamen wir immer hierher in unsere Ferienwohnung.» Und irgendwann sagte der Vater zum Sohn: «Du beginnst mit dem Training. Das wird jetzt gemacht.» Zwar gehorchte der Sohn widerwillig, aber nach der ersten Stunden wollte er gleich wieder hin. Die Schwester zog nach. Jacques: «Beide waren in ihrem jungen Alter weiter als die anderen. Aber sie hatten trotz grosser Disziplin immer grosse Freude. Loïc befolgte schon als Zwölfjähriger das Trainigsprogramm sehr penibel.»
Nach dem Ausscheiden beim Weltcup-Riesenslalom von Kranjiska Gora im März 2016 holte Loïc seine Tourenski und ging anderthalb Stunden in die Berge statt zu lamentieren. «Weil ich Spass am Skifahren und an den Bergen habe.» Am Tag danach beim zweiten Riesenslalom wurde er Achter – seine erste Duftmarke.
Talent ist angeboren, zum Erfolg aber kommt man ohne Arbeit nicht. «In Neuenburg», so Loïc, «gab es keine sportliche Infrastruktur. Wir gingen normal in die Schule und bekamen nie frei fürs Training.» Und so fuhren die Meilards hin und her zwischen Neuenburg und dem Val d’Hérens, unzählige Male Bôle–Hérémence, unzählige Male Hérémence–Bôle, 360 km.
Jacques Meillard: «Mehrmals fuhren meine Frau oder ich diese Strecke sogar dreimal die Woche ab.» Wen wunderts, dass irgendwann mal genug war. Im Januar 2009 kamen die Eltern zum Schluss, definitiv in ihre Ferienwohnung ins Wallis zu ziehen. Nach den Weihnachtsferien 2009 blieben sie, Vater Jacques fuhr noch zwei weitere Jahre wöchentlich nach Neuenburg. Er verdiente sein Geld mit seiner Elektrofirma, mit der Zeit fand er einen Abnehmer und verkaufte das Kleinunternehmen. Heute ist er im Wallis im Immobiliengeschäft tätig; er kaufte und vermietet Wohnungen.
«Ich war sofort einverstanden»
Und wie reagierten die Kinder auf den Wechsel? «Ich war sofort einverstanden. Kein Zögern», sagt Loïc. «Schliesslich hatte ich meine Skikollegen im Wallis.» Hier kamen die Geschwister nicht sofort in eine Sportklasse, aber die Schule passte sich den Bedürfnissen der jungen Rennfahrer im Gegensatz zu Neuenburg an. Mélanie war damals noch in der Primarschule, sie bekam aber fürs Training immer wieder frei. «Ohne die professionelle Struktur von Ski Wallis, die Sport und Schule miteinander ergänzten, wären meine Kinder nie so weit. Das war zentral für uns.» So hat sich Vater Meillard gegenüber Pirmin Zurbriggen mehrmals geäussert.
Die Eltern haben ihre Kinder immer Selbstverantwortung gelehrt. Der Vater hat den beiden beispielsweise nur jeweils die Rennski präpariert. Für die Trainingskis waren die Kinder selbst zuständig. Heute haben die Ski-Geschwister mit Patrick Flaction denselben Konditionstrainer wie Lara Gut. Denn die Anforderungen an beide sind gross. Loïc soll dafür sorgen, dass die Schweiz ihre Krise in der Problemdisziplin Riesenslalom vergessen machen kann. Und Mélanie soll das grosse Loch hinter Gut stopfen.
Loïc: «Ich hoffte immer, dass ich der erste der Familie bin, der es auf ein Weltcuppodest schafft.» Zu spät. Aber er kann seine jüngere Schwester noch in Sachen Sieg schlagen. Loïc lacht: «Ich bin nie nervös im Starthaus. Mélanie allerdings noch weniger.»
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