Judith Wyder | Bernerin, Burgerin von Brig-Glis, Ex-Weltklasse im Orientierungslauf, Botschafterin Aletsch Halbmarathon
«Wollte nicht mehr so oft weg sein»
![Berglauf statt Orientierungslauf. Judith Wyder.](/site/assets/files/0/76/02/40/389/judith.650x0n.jpg)
Berglauf statt Orientierungslauf. Judith Wyder.
Foto: zvg
Die 30-Jährige wäre auch als Athletin (und Mitfavoritin auf den Sieg) auf der Bettmeralp dabei gewesen. Doch sie muss passen, «schweren Herzens» wie sie sagt. Dafür nimmt sie dieses Wochenende ihre Rolle als Botschafterin des Events wahr.
Judith Wyder, zu Beginn stellen wir fest, dass Sie nicht mehr auf der Teilnehmerliste des Aletsch Halbmarathon figurieren. Warum?
«Mein Fernziel war die Berglauf-Weltmeisterschaft im Juli in Zermatt. Dafür gab es nur ein Qualifikationsrennen, zuletzt in Moléson. Ich war gesundheitlich angeschlagen, habe mich dort leider nicht qualifizieren können und bin für Zermatt nur als Ersatz nominiert. Ein Start auf der Bettmeralp hätte keinen Sinn gemacht, ich muss schweren Herzens verzichten, die Gesundheit geht vor. Jetzt bin ich halt mit Stolz und Freude als Botschafterin des Events vor Ort, unterstütze alle Teilnehmer und damit auch meinen Mann.»
Reden wir über Heimat, über Wurzeln. Wie viel Wallis steckt in Ihnen?
(lacht) «Schon viel, auch wenn ich in Bern geboren und in Zimmerwald aufgewachsen bin.»
Dafür hört sich Ihr Walliserdeutsch aber wirklich gut an.
(lacht) «Das denke ich zwar nicht immer, danke. Mein Schnabel ist nun mal im Berner Dialekt gewachsen, das ist meine Standardsprache. Im Oberwallis und mit Oberwallisern aber kommt automatisch mein Walliser Deutsch zum Zug.»
Ihre Familie ist interkantonal, richtig?
«Ja. Meine Mutter ist St. Gallerin, mein Vater stammt aus Brig-Glis. Die Arbeit hat ihn nach Bern gebracht.»
Wie stark ist Ihre Bindung zum Wallis?
«Die ist schon stark. Ich bin Burgerin von Brig-Glis, meine Grosseltern sind im Gliser Gstipfji aufgewachsen. Für Familienbesuche waren wir sehr oft dort. Als Kind verbrachte ich darüber hinaus mit meinen Eltern viel Zeit im Goms, beispielsweise mit Langlaufen. Ich mag die Natur, ich mag die Berge. Ich hatte das grosse Glück, nach der Schwangerschaft und dem Comeback noch einmal eine erfolgreiche Saison bis zu meinem Rücktritt gehabt zu haben. Für lange Zeit das winterliche, mittlerweile fast lieber Sommer oder Herbst. Für eine Person wie mich, die gerne draussen sich bewegt und in der Laufszene daheim ist, gibt es kaum etwas Schöneres als das.»
Ist Judith Wyder Stadtkind oder Landei?
«Ich erlebe und schätze beides, ich bin beides.» (lacht)
Reden wir über den Sport. Sie haben eine tolle Karriere im Orientierungslauf hinter sich, einer Einzelsportart. Haben Sie damals bewusst so eine gesucht?
«Bewusst nicht. Ich kam durch meine Eltern als Kind zum Langlaufen und später zum OL. In einem Einzelsport ist man selbst verantwortlich für die Leistungen, man erhält 1:1 das zurück, was und wie man trainiert und arbeitet. Die Staffel als Ausgleich dazu mag ich aber sehr, ich hab in all den Jahren auch schon ein Staffel- einem Einzelrennen vorgezogen.»
Sie sagten, durch die Eltern den Sport entdeckt zu haben. Es gibt leider viele Eltern, die ihre Kinder früh unter Leistungsdruck setzen oder gar bestimmte Hobbys vorschreiben. Wie war das bei Ihnen?
«Definitiv nicht so, da hatte ich alle Freiheiten. Sie haben nie die Leistung in den Vordergrund gestellt. Ihnen war wichtig, dass ich einen guten Bezug zur Natur erhalte und draussen bin. Sie haben mich stets unterstützt, in allem, was ich gemacht habe, waren bei vielen Wettkämpfen dabei. Neben dem Sport war ich früher beim Ballett oder habe Geige gespielt.»
Wenn Sie vor 100 Leuten den Orientierungslauf bewerben müssten, was würden Sie
für Argumente einsetzen?
«Der OL vereint physische Elemente und technische Aspekte wie das Kartenlesen. Es ist ein spannendes Zusammenspiel, das sich voll und ganz in der Natur abspielt.»
Im Orientierungslauf haben Sie insgesamt 21 Medaillen an Welt- und Europameisterschaften gewonnen, davon elf goldene. Gibt es die eine, die ganz besonders war?
(überlegt) «Schwer zu sagen, weil wirklich jede Medaille eine eigene Geschichte hat. Aber wenn ich dann doch zwei herauspicken würde, dann meine letzte Staffel-Goldmedaille 2018 von der WM in Lettland. Oder meine erste Einzel-Medaille von 2014 an der WM in Venedig, wo ich im Sprint gewinnen durfte.»
Spricht man über OL in der Schweiz, gibt es am Namen der 23-fachen Weltmeisterin und heute 41-jährigen Simone Niggli-Luder kein Vorbeikommen. Was war Niggli-Luder für Sie?
«Eine Faszination durch und durch. Sie hat den OL in der Schweiz massiv vorangetrieben. Ich war lange mit ihr im Team, mein erstes Staffel-WM-Gold gewann ich 2012 in Lausanne mit ihr.»
Niggli-Luder war medial sehr präsent. Für Sie ein Vor- oder Nachteil?
«Ich gebe zu, dass es nicht immer einfach war. Aber ihre Präsenz war richtig und verdient, Simone war schlicht und einfach die Beste. Auch dank ihr konnten wir eine starke Damen-Mannschaft aufbauen und uns mit den Besten der Welt messen.»
Niggli-Luder trat Ende 2013 zurück, ist mehrfache Mutter. Was ist aus der Freundschaft mit ihr geworden?
«Eine gute Freundin. Wir sehen uns zwar seltener, haben beide viel los im Leben, was am Kontakt aber nichts ändert. Wir haben oft auch über das Thema Schwangerschaft und Spitzensport gesprochen, wie sie nach der Geburt die Rolle als Mutter und Athletin vereint hat.»
Auch Sie, Judith Wyder, dürfen sich seit Dezember 2017 Mutter einer Tochter nennen. Fast ein Jahr bevor Sie den Rücktritt vom Orientierungslauf bekannt gaben. Warum dieser Abschied?
«Ein Entscheid, der nicht über Nacht entstand. Ich hatte mir schon lange, also seit drei oder vier Jahren, darüber Gedanken gemacht. OL ist zeitintensiv, sehr viel Training findet im Ausland statt. Ich hatte aber stets gespürt, noch etwas erreichen zu wollen. Die Motivation war immer riesig, der Support im Umfeld auch. Aber ich wollte nicht mehr so oft weg sein, weg von der Familie, von meinem Mann, von meinem Kind. So kam es im Oktober 2018 zum Rücktritt.»
Fast schon eine obligate Frage: Vermissen Sie den OL auf höchstem Niveau?
«Ich hatte das Glück, nach der Schwangerschaft und der Rückkehr in den OL noch einmal eine tolle Saison gehabt zu haben. Ich vermisse sicher die vielen Gesichter, aber nicht das Reisen. Und in Bezug auf das Training hat sich bei mir nicht viel verändert, auch wenn ich jetzt zum Berglauf gewechselt habe.»
Sie haben einst Physiotherapeutin gelernt, betreiben heute mit Ihrem Mann Gabriel Lombriser eine Unternehmung. Sie bieten Personal Coaching oder ganze Laufcamps an. Erzählen Sie uns davon.
«Den grossen Teil nimmt das Personal Coaching in Anspruch. Ich betreue regelmässig acht bis zehn motivierte Läuferinnen und Läufer, vom Alter und Fitnessstand her sehr durchmischt. Da ist vom Anfänger bis zum ambitionierten Marathon-Teilnehmer alles dabei. Wir bieten Laufweekends oder -camps an, sind auf diversen Trails unterwegs.»
Was geben Sie Ihren Kunden weiter?
«So viel wie möglich von der Faszination und der Leidenschaft des Sports. Das wünsche ich auch allen auf der Bettmeralp, dass sie trotz der Anstrengung das Rundherum und die wunderschöne Strecke geniessen und mit Freude laufen sollen. Ich sage das aus eigener Erfahrung, mit dieser Einstellung funktionierte es bei mir meistens am besten.»
Hört man Ihnen so zu, scheinen Sie in Ihrem neuen Lebensabschnitt zufrieden zu sein.
«Ja, für mich stimmt es. Ich halte auch Vorträge und es gibt eine Reihe von kleinen Projekten mit meinen Sponsoren noch aus der OL-Zeit oder solchen, die jetzt neu dabei sind.»
Alan Daniele
Artikel
Kommentare
Noch kein Kommentar