eSports | Michael Fournier repräsentiert den FC Sitten offiziell in den digitalen Stadien – von seiner Xbox aus
Vom Zockersessel ins Tourbillon
Ardon | Zum zweiten Mal in seinem Leben streift sich Michael Fournier das Trikot des FC Sitten über. Nach einer kurzen Rasenkarriere beim Nachwuchs spielt er seit einem Jahr digital in den Walliser Farben.
Ein warmer Freitagmittag Anfang Oktober in Ardon. Vor dem Tearoom «Les Roués» erscheint ein schmächtiger Junge mit einem grossen Papiersack des FC Sitten, prall gefüllt mit Artikeln des Super-League-Teams. Er bestellt einen Orangensaft und entschuldigt sich dafür, dass wir sein Trainingsgelände noch nicht betreten können: «Mein Coach ist noch im Zivilschutz.»
Der 24-jährige Fournier stand in seiner Jugend für den Nachwuchs des FC Sitten auf dem Rasen. Keine viereckigen Augen, weder ungepflegte Haut noch ungewaschene Haare. «Ich verbringe nicht täglich zehn Stunden an der Konsole und stopfe Junkfood in mich hinein», sagt Fournier und lacht. Das Klischee des ungepflegten und sozial isolierten Gamers trifft auf ihn nicht zu. «Ich führe das Leben eines normalen Jugendlichen, mache eine Ausbildung, habe eine Freundin und einen Freundeskreis, unabhängig von der Konsole.» Sein Trainingspensum betrage maximal 20 Stunden die Woche. Dieses erreiche er nur in der Turniervorbereitung; vor allem, weil er von seiner Xbox auf die meist verwendete PlayStation ausweichen muss.
Training in der Garage
Eine Sportverletzung zwang ihn vor zwei Jahren dazu, seine Stollenschuhe vorläufig an den Nagel zu hängen. Die Lust am Rasen aber kitzelt ihn weiterhin. Während er momentan noch ausschliesslich in der Freizeit mit Freunden spielt, zieht er es in Betracht, früher oder später wieder einem Klub beizutreten: «Und wenn es nur Ardon ist», sagt er und grinst.
Wenige Minuten später öffnet Fourniers Coach Tharsan Arumugam die Tür zum Trainingslokal des FC Sitten eSports. Die kleine umgebaute Garage wird von je drei Bildschirmen und Konsolen, Zockersesseln und Sofas in Beschlag genommen. Hie und da schmückt ein Schal des FC Sitten den kargen Raum. «Eigentlich ist das unser Hobbykeller, den wir ausgestattet hatten, bevor wir zum FC Sitten eSports kamen», so Fournier.
Mit Salah im Sturm
Der 24-Jährige simuliert seit knapp einem Jahr Sittens digitale Mannschaft. Der Dress unterscheidet sich nur leicht von jenem der Fussballspieler: Unter dem Vereinswappen auf der Brust prangt der Schriftzug «eSports», auf der Bauchpartie prangt statt des Hauptsponsors das Logo des «Casino Barrière».
Fournier trägt die Farben, nicht aber die Spieler des FC Sitten auf den digitalen Platz: «Ansonsten hätte ich bei Wettkämpfen keine Chance.» So sorgt bei ihm Mohamed Salah statt Yassin Fortune auf der rechten Seite für Unruhe im gegnerischen Strafraum.
Jonathan Amorim, Kommunikationsassistent beim FC Sitten, hat die eSports-Struktur unter seine Fittiche genommen: «Eines Tages standen drei Jungs im Büro und erklärten ihre Idee des FC Sitten eSports.» Es habe wenige Sitzungen erfordert, um dem Team Einhalt in die Vereinsstrukturen zu gewähren. Überraschend sei die Initiative der passionierten Gamer nicht gewesen: «Aufseiten des Vereins hatten wir uns schon Gedanken zu diesem Thema gemacht, das hat sicherlich geholfen», so Amorim.
Der FC Sitten ist der vierte Schweizer Verein, der ein Team im Fussballsimulationsspiel «FIFA» stellt. Neben Basel mit vier Vollzeitprofis, St. Gallen und Lausanne-Sport sieht Fournier für den FC Sitten gute Chancen: «Gegen St. Gallen habe wir eine positive Bilanz. Basel bleibt unerreichbar.»
Seinen Lebensunterhalt möchte Fournier – zumindest langfristig – nicht mit eSports bestreiten: «Je nach Angebot würde ich es sicher einige Jahre lang machen. Aber ein Leben lang zocken? Das möchte ich nicht.» Dank seiner laufenden Ausbildung im Immobilienbereich möchte er eines Tages das Geschäft seines Grossvaters übernehmen können.
Schweizweit Proteste
Am 23. September 2018 flogen Tennisbälle auf den Rasen des Stade de Suisse. Eine historische Begegnung, die mit dem Kantersieg der heimischen Young Boys über den FC Basel endete. Ein historisches Zeichen wollten auch beide Fanlager setzen, die ausnahmsweise am gleichen Strang zogen: Nach der ersten Viertelstunde flogen Geschosse aus dem gelbschwarzen Fanblock, nach rund einer Stunde aus dem blau-roten.
Der Protest richtete sich gegen eSports, wie der Dachverband der YB-Fanklubs, die «Ostkurve Bern», in einer Stellungnahme bestätigte: «Wir kämpfen gegen E-Sports!» und «Dies hat mit unserem Sport und den Werten unseres Vereins rein gar nichts zu tun!», hiess es dort. Im Frühling manifestierten Basler Fans an einem Heimspiel mit Petarden unter dem Slogan «E-Sports dr Stegger zieh» ihren Unmut gegenüber dem neuen Geschäftszweig.
Fournier vermutet hinter den Protesten gegenüber eSports – zumindest hinter jenen des FC Basel – die Enttäuschung über die stockende Saison der Profis: «Es ist verständlich, dass Fans in erster Linie möchten, dass das Super-League-Team gut und eSports eine untergeordnete Rolle spielt», so Fournier, «doch das Budget, das den klubeigenen Gamern zur Verfügung gestellt wird, ist doch recht überschaubar.» So auch in Sitten.
Um die Fans nicht gegen den Verein aufzubringen, sieht Amorim nur die von Beginn weg offene Kommunikation: Der eSports-Abteilung werden nur Reise- und Logierkosten von Sponsoren zurückerstattet. Einen Lohn gibt es nicht. Bei der Rekrutierung des fünfköpfigen Teams wurde bewusst darauf geachtet, Walliser Spieler zu verpflichten. Fournier erachtet dies beim FC Basel als problematisch: «Dort spielen ein Zürcher, zwei Deutsche und ein Argentinier. Mit ihnen können sich die Fans nicht identifizieren.»
eSuper-League geplant
Seit Längerem machen Gerüchte die Runde, dass eine eSports-Liga in Kooperation mit der Super League entstehen soll. Diese sind bis zur «Ostkurve Bern» vorgedrungen: «Nun soll im März 2019 von der SFL eine eigene Liga gestartet werden», steht im YB-Forum. Der Fanklub-Dachverband verurteilt diese Entwicklung.
Fournier fände eine unter der Ägide der SFL strukturierte Liga und den direkten Vergleich mit anderen eSportlern spannend. Bereits nächstes Jahr könnte es so weit sein.
Adrien Woeffray
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