Jetzt mal ehrlich | Die Parteipräsidenten im Gespräch – Heute: Brigitte Wolf und die Oberwalliser Grünen sind jetzt schon kleine Gewinner dieser Wahlen. Warum sie ab und zu an Jean-Michel Cina denkt und keine Angst hat, andere Parteien «grünen» zu sehen
«Noch ist klar, wer das Original ist»
Brigitte Wolf, jetzt mal ehrlich: Eine grüne Politikerin im Oberwallis, die ausgerechnet Wolf heisst – sehnten Sie sich nie nach einem anderen Namen, Fux zum Beispiel?
(lacht) «Nein. Mir gefällt der Name gut. Und er passt offensichtlich.»
Sie sind Bündnerin. Ist es schwieriger für eine «Auswärtige», sich in der Oberwalliser Politlandschaft zu etablieren?
«Ich bin zwar nicht Walliserin, aber ich fühle mich hier daheim. Es gibt auch Vorteile, keine ‹Einheimische› zu sein. Ich muss bei meinen Positionen keine Rücksicht nehmen auf einen Onkel oder andere Verwandte, ich bin niemandem verpflichtet. Zudem habe ich keine Kinder, muss also nicht befürchten, dass diese angefeindet würden.»
Vier der fünf Oberwalliser Parteipräsidenten, die wir diesen Sommer interviewen, haben keine Kinder. Erleichtert das diesen Knochenjob?
«Darüber habe ich mir nie wirklich Gedanken gemacht. Die Frage ‹Kinder oder Karriere?› habe ich mir nicht gestellt, da ich nie den Wunsch hatte, Kinder zu haben und mein Partner auch nicht. Aber es scheint klar, dass man ohne Kinder womöglich mehr Freiheiten hat.»
Der Ausbau des Schiessplatzes auf dem Simplon durch das VBS ist ein kontroverses Thema diesen Sommer. Von Ihrer Partei hat man lange nichts gehört. Waren alle Grünen in den Ferien?
«Die Grünen sind klar gegen dieses Projekt. Ich war im Hintergrund aktiv, habe Kontakte vermittelt zwischen den betroffenen Anrainern und den Umweltorganisationen. Zudem habe ich als Geschäftsleiterin des VCS Wallis eine Einsprache gegen das Projekt geschrieben.»
Es geht um Umwelt- und Landschaftsschutz – das wäre doch die perfekte Bühne gewesen, sich so allmählich für den Wahlherbst in Stellung zu bringen. Sind Sie manchmal zu nett für die Politik?
«Weder ich persönlich noch die Partei konnten direkt gegen das Projekt einsprechen. Ein Leserbrief oder eine Medienmitteilung wären natürlich möglich gewesen, aber manchmal reicht die Zeit einfach nicht für alles.»
Die Klimapolitik, seit jeher eines der Hauptthemen der Grünen, ist in der Mitte der Gesellschaft angelangt. Erfüllt Sie das auch mit Genugtuung, es doch schon immer gewusst zu haben?
«Nein, das wäre nicht mein Stil. Aber es freut mich, dass die Grünen dank viel Knochenarbeit dieses Thema gesellschaftsfähig gemacht haben.»
Das Gleiche schaffte die Partei auch mit dem Atomausstieg. Es ist aber oft die CVP, die sich mit den Federn der Energiewende schmückt. Und alle anderen Parteien sind heute auch ein bisschen grün. Laufen die Grünen Gefahr, mittelfristig Opfer ihres eigenen Erfolgs zu werden?
«Ich mache Politik, um Lösungen zu finden, nicht um ein Thema zu bewirtschaften. Wenn die anderen Parteien die Klimakrise endlich ernst nehmen und die hilft, die Klimaprobleme zu lösen – umso besser. Aber davon sind wir noch weit entfernt. Ich befürchte, dass es sich bei vielen Politikern um blosse Lippenbekenntnisse handelt. Wir werden es nach den Wahlen sehen, wer es wie ernst meint. Die Grünen sind bei diesem Thema sicher am glaubwürdigsten. Noch ist klar, wer das Original ist.»
Ich nehme an, dass der ganze Klima-Hype Ihre Arbeit erleichtert.
«Wir haben die Grünen Oberwallis vor zehn Jahren gegründet, und der Weg bis hierhin war oft steinig. Ich war oft auf verlorenem Posten, stand alleine hin, wenn es darum ging, emotionale Vorlagen wie etwa die Zweitwohnungsinitiative zu verteidigen. Doch in den letzten Monaten hat sich vieles bewegt: Für die Wahlen im Herbst haben wir ohne Müh und Not eine volle Liste zusammengekriegt. Es melden sich auch im Oberwallis vermehrt Leute, die bei den Grünen Mitglied werden wollen.»
Trotzdem und bei allem Respekt vor den Kandidierenden: Es fehlen nach wie vor die Zugpferde.
«Das ist uns klar. Es wäre naiv zu glauben, dass jetzt plötzlich eine bekannte Persönlichkeit aus der Region von heute auf morgen zu den Grünen wechselt. Wir sind noch nicht so weit wie im Unterwallis.»
Zehn Jahre Rückstand auf die Kollegen im Unterwallis – wie ist das zu erklären?
«Früher war das Oberwallis noch offener für – im weitesten Sinn – grüne Themen. Und das Unterwallis weniger. Das ist heute gerade umgekehrt. Ein Grund dafür ist, dass das Unterwallis städtischer geworden ist. Kommt dazu, dass Jean-Pascal Fournier, Präsident der Grünen Wallis, seit 20 Jahren sehr viel Basisarbeit leistet. Es gibt aber auch eine historische Komponente: Vor der Gründung der Grünen kümmerte sich im Oberwallis vor allem die SP um Umweltthemen…»
Für viele ein rotes Tuch.
«In Umweltthemen macht die SPO eine wertvolle Arbeit. Oft unterscheiden wir uns aber im Stil. Dass wir bei Gemeinderats- oder Grossratswahlen zusammenspannen, macht auch durchaus Sinn.»
Das Ziel der Oberwalliser Grünen bei den kommenden Wahlen?
«Im Oberwallis so nahe wie möglich an die 5-Prozent-Grenze zu kommen.»
Die Oberwalliser sind ein Völklein von Auto-, Haus- und Grundbesitzern. Grüne Politik stellt Eigentum indes vielfach infrage. Was haben Sie für ein Verhältnis zu Hab und Gut?
«Nehmen Sie die Raumplanung als Beispiel: Hier hat man jahrzehntelang vielen Bodenbesitzern üppige Geschenke gemacht, indem man Bauland eingezont hat. Das muss nun korrigiert werden. Aber ich will niemandem etwas wegnehmen…»
Aber genau das passiert jetzt.
«Das Wallis hat mit der Möglichkeit der Reservezonen eine gute Lösung gefunden. Die meisten Rückzonungen, etwa in Ferienhauszonen, sind vertretbar. Ich bin sehr erfreut, dass das Wallis bei der Umsetzung jetzt vorwärtsmacht, obwohl man die RPG-Revision mit über 80 Prozent ablehnte.»
Auch im Wallis muss man sich an Gesetze halten.
«Ja, aber es gab auch schon Fälle, wo der Bund das Wallis beinahe nötigen musste, nationale Gesetze umzusetzen. Ich rechne es alt Staatsrat Jean-Michel Cina und seinem zuständigen Dienstchef Damian Jerjen wirklich hoch an, dass sie sich so stark machten für ein gutes kantonales Raumplanungsgesetz . Und auch die Gemeinden nehmen die Umsetzung ernst. Man konnte es zuletzt im WB ja lesen: In Brig, Naters, Visp, Ausserberg hat man damit begonnen, Lösungen zu finden.»
Die Zersiedelungsinitiative der Jungen Grünen war selbst Ihnen unheimlich. Müssten Sie als Grüne aus dem Berggebiet nicht öfters bei der Zentrale auf den Tisch schlagen?
«Ich glaube nicht, dass die Grünen eine Politik gegen das Berggebiet machen, im Gegenteil. Aber die Zersiedelungsinitiative kam zu einem schlechten Zeitpunkt. Für Zürich hätte sie womöglich gepasst. Aber nicht fürs Wallis, wo die Umsetzung des Raumplanungsgesetzes – wie gesagt – auf gutem Weg ist. Und dann nehme ich mir auch die Freiheit auszuscheren.»
In der momentanen Klima-Debatte schwingt immer dieser apokalyptische Unterton mit. Das erinnert ans Mittelalter: Wenn wir das nicht machen und hier nicht parieren, geht morgen die Welt unter. Muss diese Drohkulisse wirklich sein?
«Die Welt geht nicht unter. Aber wir Menschen werden ein massives Problem haben, wenn wir nicht rasch handeln. Der steigende Meeresspiegel, längere Dürreperioden, Wassermangel – in vielen Gegenden dieser Welt wird es den Menschen ans Lebendige gehen. Mag sein, dass wir in der reichen Schweiz weniger direkt betroffen sind, dennoch werden die Alpen den Klimawandel überdurchschnittlich stark spüren Denken Sie nur an den Wintertourismus.»
Wir Menschen sind dem Affen ein gutes Stück voraus. Wir können diese Herausforderungen meistern. Mit Forschung zum Beispiel. Sie sind Naturwissenschaftlerin, Sie müssten doch etwas optimistischer sein.
«Ich bin grundsätzlich ein sehr optimistischer Mensch, aber bei diesen drastischen Veränderungen mache ich mir wirklich Sorgen. Klar, weltweit tüftelt man an Technologien, CO2 aus der Luft zu filtern. Aber bei dieser Menge an Treibhausgasen, die wir produzieren, – auf so eine Wundermaschine zu hoffen, ist mir zu riskant. Es braucht radikale Massnahmen und auch politischen Druck.»
Forscher hätten vielleicht Lösungen gefunden, Atomkraftwerke eines Tages noch sicherer zu machen. Vielleicht hätten sie Techniken entwickelt, Atommüll sauber entsorgen zu können. Aber die Anreize hierfür sind mit dem Atomausstieg plötzlich weg.
«An neuen Technologien kann man gerne forschen. Aber in die Atomenergie haben wir bereits viel zu viel Geld gesteckt. Inzwischen ist klar, dass sie keine Zukunft hat. Hätte man doch so viel Geld in die Erforschung der Sonnenenergie gesteckt…»
Ständerat Beat Rieder, Mitglied der Energiewende-Partei CVP, macht sich ernsthafte Sorgen, um die hiesige Versorgungssicherheit. Der Windpark auf dem Gries kommt ins Rotieren. Müssten wir bei der Energiewende nicht nochmals über die Bücher?
«Der Anlage auf dem Gries standen wir Grüne immer skeptisch gegenüber…»
…wie allen Windanlagen.
«Die Schweiz ist ein Wasserkraft- und ein Solarland. Kein Windenergieland. Und von der Stromlücke, vor der Beat Rieder Angst hat, redet man schon lange. Und es hat immer noch zu viel Strom im Netz. Es ist klar, dass uns die Energiewende vor grosse Herausforderungen stellt. Aber es gibt keine andere Lösung.»
Wenn Grüne fliegen oder einen Hamburger essen gehen, sorgt das immer für Shitstorms. Stichwort: Wasser predigen und Wein trinken. Wie gehen Sie mit dieser neuen Sitten-Ordnung um?
«Jeder muss seinen Beitrag leisten. Auch ich persönlich versuche das: Ich lebe auf kleinem Raum, produziere eigenen Strom, fliege nicht, benutze meist den ÖV. Aber ich kann und will nicht zu hundert Prozent konsequent leben. Wenn ich eine Skitour mache, fahre ich mit dem Auto hin. Eine junge Klimaaktivistin brachte es auf den Punkt: ‹Wir Junge sind in dieser Konsumgesellschaft grossgeworden, es ist sehr schwierig, als Einzelperson auszuscheren›. Und sie hat recht: Ein Mensch allein kann wenig bewirken. Es braucht einen tief greifenden Wandel in der Gesellschaft, und es braucht Vorgaben der Politik.»
Aber Sie sagen mir, wie ich zu leben habe. Dann erwarte ich von Ihnen, dass Sie sich daran halten. Einverstanden?
«Ich sage Ihnen nicht, wie Sie zu leben haben. Aber es ist auch zu einfach, mit dem Finger nur auf uns Grüne zu zeigen. In der Schweiz werden wir die nötigen Massnahmen gemeinsam und demokratisch entscheiden.»
Aber wenn Sie einen Preisaufschlag für Benzin fordern, würde das mich direkt betreffen.
«Ja, solche Massnahmen werden uns alle betreffen. Und das ist gut so.»
Interview: David Biner
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