Schule | Kindergärtner erlernen artgerechten und sicheren Umgang mit Hunden
«Tapsi» ist kein Spielzeug

Stillgestanden. Unter den fachkundigen Augen von Hundehalterin Denise Schnyder lernen die Kinder den richtigen Umgang mit Bergamasker-Hündin Emee.
Foto: mengis media / Alain Amherd
Brig-Glis | Tierischer Besuch im Gliser Kindergarten «Grundbiel»: Statt basteln, spielen und malen stand gestern für einmal die Begegnung mit zwei Hunden auf dem Programm. Durch das vom Kanton entwickelte Unterrichtsmodell lernen die Kinder, sich gegenüber den Vierbeinern richtig zu verhalten – und sich somit selbst zu schützen.
Furcht verbreitete «Tapsi» gestern nicht. Freilich war das auch nicht zu erwarten, denn «Tapsi» ist kein Hund, sondern lediglich ein Maskottchen, gespielt von Andrea Lütolf. Mulmiger dürfte es einigen der Dreikäsehochs aus Jeannine Lengens Kindergartenklasse dagegen zumute gewesen sein, als sie kurze Zeit später von zwei echten Hunden beschnüffelt wurden. Auch, wenn das im Vorfeld niemand so recht hatte zugeben wollen.
Beschnüffelt von Emee und Roxy
«Was bedeutet es, wenn ein Hund knurrt?», fragt Sanna Amacker in die Runde. An diesem Vormittag ist sie die Lehrerin; die Kinder hören aufmerksam zu. «Und wenn ein Hund winselt? Oder fröhlich bellt?», fragt sie, während Maskottchen «Tapsi» die entsprechenden Geräusche nachahmt. Das Ziel dahinter: Können die Kleinen die Stimmungen eines Hundes deuten, kommt es automatisch seltener zu kritischen Situationen zwischen Kind und Vierbeiner. Übermütige Kinder lernen, nicht auf einen Hund zuzustürmen, während die ängstlicheren im Idealfall merken, dass sie nicht in Panik verfallen müssen, wenn ein Hund auf sie zuläuft.
Sobald die grundlegenden Verhaltensregeln klar sind, wird von der Theorie in die Praxis gewechselt. Unter den wachsamen Augen ihrer Frauchen Denise Schnyder und Stefanie Zurbriggen trotten Bergamasker Emee und Labrador Roxy auf die Kinder zu, beschnüffeln sie neugierig – und wenden sich dann wieder ab. Kein Wunder: Schliesslich haben die Kindergärtner die «Statuenposition» eingenommen, bewegen sich nicht, schauen den Hund nicht an. So, wie sie es zuvor mit «Tapsi» gelernt haben.
Die nächste Übung ist bereits etwas schwieriger: Wirft der Hund das Kind um, soll in der «Päckliposition» verharrt werden, bis der Vierbeiner das Interesse verloren hat. Der eine oder die andere muss vielleicht seinen Mut zusammennehmen, doch auch hier schlagen sich die Kleinen bravourös.
Bevor die tierischen Gefährten zum Schluss gestreichelt werden dürfen, gibt Lehrerin Amacker noch einige Tipps: Wie man mit einem Hund ohne Begleitung umgeht, und dass es nicht ratsam ist, fressende oder schlafende Tiere zu stören. Am Ende wird den Kleinen eine Broschüre ausgehändigt, anhand der sie gemeinsam mit ihren Eltern nochmals die wichtigsten Regeln durchgehen können.
Hunde müssen Stress aushalten können
«Viele Kinder kennen Hunde nur aus Trickfilmen oder als Plüschtier. Ein echter Hund ist aber kein Spielzeug, und das wollen wir den Kindern vermitteln», sagt Hundebesitzerin Stefanie Zurbriggen im anschliessenden Gespräch.
Eine Aufgabe, in welche die vier Frauen viel Zeit investieren. Während des Schuljahres sind sie an ein bis zwei Vormittagen pro Woche unterwegs; besuchen Kindergärten und tiefe Primarschulstufen im ganzen Oberwallis. Ein grosser Aufwand – und gleichwohl sei es schön, mit seinem Vierbeiner auf diese Weise etwas Vernünftiges tun zu können, merkt Andrea Lütolf an. Währenddessen ergänzt Denise Schnyder, dass die Unterrichtsstunden nicht nur den Kindern etwas bringen würden: In einer Gesellschaft, in der die Vierbeiner nicht mehr überall gern gesehen sind, trage sie mit ihrer Arbeit auch etwas zur besseren Akzeptanz von Hunde(halter)n bei.
Dabei ist längst nicht jedes Tier als «Unterrichtshund» geeignet. Im Gegenteil: Herumwuselnde, schreiende und tatschende Kinder verlangen von den Hunden einiges an Gelassenheit und Stressresistenz. Eigenschaften, die von den Verantwortlichen vor dem Einsatz gründlich getestet werden.
Doch wüssten die Kinder überhaupt noch, was zu tun ist, falls sie in einem Monat auf der Strasse einem Hund begegnen? Zumindest hätten sie dann die Situation bereits einmal erlebt, glauben die vier Damen. Und an die «Statue» werde sich das eine oder andere Kind gewiss noch erinnern.
Zwar gibt es laut Kanton «keinerlei Angaben zur Wirksamkeit einer solchen Prävention in Bezug auf die Anzahl Beissunfälle.» Gleichwohl, sagt Andrea Lütolf, erlebe sie es beim Gassigehen mit ihrem eigenen Vierbeiner immer wieder, dass Kinder das Gelernte anwenden würden.
Programm vom Kanton finanziert
Ein Hinweis, dass das Geld, welches der Kanton in das Unterrichtsmodul investiert, so schlecht nicht angelegt ist. Knapp 120000 Franken waren es im letzten Jahr, kantonsweit erhielten dadurch gut 180 Klassen tierischen Besuch, weiss Claire Zen-Ruffinen, Adjunktin beim kantonalen Veterinäramt. Die gut zweistündige Lektion soll dazu beitragen, die Zahl der Beissunfälle – im vergangenen Jahr waren es kantonsweit 241 – zu reduzieren. Während unklar ist, wie viele davon Kinder waren, ist bekannt, dass Kinder im Vergleich zu Erwachsenen ein etwa doppelt so hohes Risiko tragen. Naheliegend also, dass der Kanton bei der Prävention bei den Kindergärten und Schulen ansetzt. Obligatorisch ist das Programm PAB (Prävention von Beissunfällen) zwar nicht. Für die Schulen ist das Ganze allerdings kostenlos, was den Anreiz, sich anzumelden, sicherlich steigert.
Entstanden ist das Unterrichtsmodul übrigens 2004, als verschiedene Gesetzesartikel, welche die Hundehaltung betreffen, geändert wurden. So wurden etwa verbotene Rassen definiert – gleichzeitig habe man aber auch «positive» Massnahmen realisieren wollen, sagt Zen-Ruffinen. «Die Idee ist, dass die Gesellschaft den Hund nicht mehr als Plüschtier sieht.» Seit gestern dürften dies 20 Nasen mehr so sehen.
Fabio Pacozzi
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