Migration | Spannung an griechisch-türkischer Grenze wächst – EU sucht Ordnung
Seehofer drängt auf europäische Lösung
Berichte über einen getöteten Migranten an der griechisch-türkischen Grenze haben die Spannungen zwischen Ankara und Athen verschärft. Türkische Medien hatten berichtet, griechische Grenzschützer hätten einen Mann erschossen, mehrere Migranten seien verletzt worden. Ein griechischer Regierungssprecher dementierte das am Mittwoch entschieden und sprach von «fake news».
Die EU-Kommission kündigte an, Griechenland in der angespannten Migrationslage mit einem Sechs-Punkte-Plan zu helfen. Die EU-Innenminister berieten in Brüssel über geeignete Massnahmen zum Schutz der EU-Aussengrenze.
Erst müsse dort Ordnung geschaffen werden, dann könne man über humanitäre Hilfen für minderjährige unbegleitete Flüchtlinge auf den griechischen Inseln sprechen, sagte der deutsche Innenminister Horst Seehofer in Brüssel.
Für die Schweiz sei der Schutz der Schengen-Aussengrenze wichtig, sagte Staatssekretär Mario Gattiker, der die Schweiz am EU-Treffen vertrat. Doch befänden wir uns am Rande eines Krisengebiets, und da sei auch «der Schutz der Flüchtlinge» wichtig. Man müsse «beiden Seiten Rechnung tragen».
Luxemburgs Minister Jean Asselborn schlug vor, jedes EU-Land solle pro halber Million Einwohner je zehn unbegleitete Minderjährige «aus diesem Loch herausholen». Auch Frankreich und Finnland hatten ihre Bereitschaft zur Aufnahme von Kindern und Jugendlichen erklärt.
«Ich denke, das ist eine sehr gute Idee», sagte EU-Innenkommissarin Ylva Johansson. «Es ist dringend nötig, sie von diesen Bedingungen auf den Inseln wegzubekommen und einen Zufluchtsort für sie zu haben.» Seehofer drang auf eine europäische Lösung: «Es müssen möglichst viele mitmachen.»
Die Schweiz hatte im Januar bekannt gegeben, unbegleitete Minderjährige mit Familienbezug in die Schweiz von Griechenland zu übernehmen. Laut Gattiker wurden aber bis jetzt noch keine entsprechenden Dossiers von Athen nach Bern übermittelt.
Verletze und ein Toter an der Grenze
Seit die Türkei am Wochenende die Grenzen zur EU für offen erklärt hatte, ist der Druck auf die griechischen Grenzen deutlich gestiegen. Nach Uno-Angaben harren Tausende Migranten auf der türkischen Grenzseite aus. Viele wollen weiterziehen.
Augenzeugen berichteten von Schüssen im griechisch-türkischen Grenzgebiet, es gibt Bilder von Verletzten aus dem Krankenhaus im türkischen Edirne. Das Gouverneursamt der türkischen Grenzprovinz Edirne teilte mit, Schüsse griechischer Grenzbeamter hätten einen Migranten getötet und fünf weitere verletzt. Der Getötete weise einen Einschuss an der Brust auf. Die Oberstaatsanwaltschaft ermittele.
Griechenland sichert die Grenze mit Härte. Sicherheitskräfte setzten Blendgranaten und Tränengas ein, um Menschen zurückzudrängen. Nach Angaben griechischer Sicherheitskräfte sollen auch Migranten auf der türkischen Seite mit Tränengas ausgestattet sein. Menschenrechtler und Migrationsforscher kritisieren das Vorgehen scharf.
Athen hatte zudem angekündigt, einen Monat lang keine neuen Asylanträge mehr anzunehmen. Das Uno-Flüchtlingshilfswerk UNHCR hatte dazu am Montag erklärt, es gebe keine rechtliche Grundlage für Griechenland, die Annahme von Asylverfahren auszusetzen.
Unterstützung für Athen
Der Vizepräsident der EU-Kommission, Margaritis Schinas, sicherte seinem Heimatland Griechenland weitere Unterstützung zu. «Wenn Europa getestet wird, können wir beweisen, dass wir die Stellung halten und unsere Einheit siegen wird», sagte er.
Der Brüsseler Sechs-Punkte-Plan sieht vor, dass die EU-Asylagentur Easo 160 Experten der EU-Staaten entsendet. Die Grenzschutzagentur Frontex soll ausserdem ein neues Programm für schnelle Rückführungen für jene Menschen auflegen, die nicht in Griechenland bleiben dürfen. Zudem müsse die EU sich besser mit den Westbalkanstaaten abstimmen.
Einige Punkte des Plans waren bereits bekannt. So hatte Frontex auf Bitten Griechenlands bereits angekündigt, die Hilfe an der Grenze zur Türkei auszubauen. Griechenland soll zudem bis zu 700 Millionen Euro für das Migrationsmanagement bekommen. Ausserdem hat Athen den Katastrophenschutz-Mechanismus der EU ausgelöst, um etwa mit medizinischer Ausrüstung, Zelten und Decken versorgt zu werden.
«Jetzt braucht es die volle Unterstützung für Griechenland. Wir müssen alle daran denken, dass das, was wir erleben, keine zufällige humanitäre Krise ist, sondern eine gelenkte und akkordierte Aktion der Türkei gegen Europa», sagte der österreichische Innenminister Karl Nehammer. «Griechenland schützt gerade die EU-Aussengrenze, schützt damit auch die österreichische Aussengrenze.»
Auch der griechische Regierungssprecher Stelios Petsas sprach von einer organisierten, konzertierten Aktion. Die Menschen würden gezielt mit Bussen von türkischen Städten aus an die Grenze gebracht und per Kurzmitteilungen über die angeblich offene Grenze informiert.
EU-Aussenbeauftragter in Ankara
Der EU-Aussenbeauftragte Josep Borrell sagte in Ankara, er habe klargemacht, dass die EU von der Türkei die Einhaltung des 2016 geschlossenen Flüchtlingspakts erwarte. Er habe das Land dazu aufgefordert, Flüchtlinge nicht dazu zu ermuntern, an die Grenze mit Griechenland zu reisen.
Der türkische Aussenminister Mevlüt Cavusoglu schrieb auf Twitter, er habe im Gespräch mit Borrell deutlich gemacht, dass die EU ihre Versprechungen gegenüber der Türkei nicht einhalte und dass Europa Verantwortung übernehmen müsse.
Die EU kündigte zusätzliche 170 Millionen Euro an Hilfsgeldern an. Das beinhalte 60 Millionen Euro, die für die humanitäre Krise in Nordwestsyrien vorgesehen seien, hiess es in einer Erklärung nach einem zweitägigen Besuch einer EU-Delegation in Ankara.
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