Deutschland | Nachbesserungen an den Vereinbarungen werden gefordert
Aussicht auf neue grosse Koalition mit Union spaltet SPD
In Deutschland treibt der Sondierungs-Kompromiss mit der Union einen Keil in die SPD. Eine Woche vor dem richtungsweisenden SPD-Sonderparteitag in Bonn forderten führende Sozialdemokraten am Wochenende Nachbesserungen an den Vereinbarungen.
"Ich sehe das sehr kritisch", sagte Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) dem "Tagesspiegel" zur Aussicht auf eine erneute Regierung mit der Union (GroKo). Die Sondierungsergebnisse seien eine Grundlage für weitere Gespräche. "Mehr aber auch nicht".
Es gebe zwar gute Ansätze, etwa in der Bildungspolitik. "Bei Wohnen, Zuwanderung und Integration geht es so nicht", sagte das Mitglied des SPD-Vorstands: "Die Bürgerversicherung fehlt ganz."
Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer brachte erneut eine Minderheitsregierung der Union ins Spiel. Zwar sei sie nach den Sondierungen optimistisch, "dass wir als SPD etwas wirklich Gutes für die Menschen erreichen können", sagte die Vize-Parteichefin im gleichen Blatt. Sie sei aber der Meinung, "dass es gute Gründe für eine Minderheitsregierung gibt".
SPD-Chef Martin Schulz äusserte Verständnis für die GroKo-Kritiker. "Ich kann die Skeptiker in unseren Reihen gut verstehen, ich selbst habe grosse Zweifel angemeldet und war wie die allermeisten von einer Jamaika-Koalition ausgegangen", sagte er der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung": "So wie ich selbst werden die Delegierten auf dem SPD-Parteitag nur durch Inhalte zu überzeugen sein."
Erster Sieg für GroKo-Gegner
Die GroKo-Gegner in der SPD feierten allerdings im Bundesland Sachsen-Anhalt einen ersten Sieg: Beim Landesparteitag in Wernigerode wurde eine grosse Koalition mit 52 zu 51 Stimmen abgelehnt. Der Einfluss der Landespartei ist aber klein: Beim Sonderparteitag am 21. Januar stellt sie nur sechs der 600 Delegierten.
Vor dem Nein in Sachsen-Anhalt hatte Aussenminister Sigmar Gabriel (SPD) für eine Neuauflage von Schwarz-Rot geworben. Er kritisierte das SPD-Entscheidungsverfahren mit einem zwischengeschalteten Parteitag. Die Entscheidung müsse den SPD-Mitgliedern überlassen bleiben, sagte der frühere Parteichef.
Am Freitag hatten sich die Spitzen von CDU, CSU und SPD darauf verständigt, Koalitionsverhandlungen aufnehmen zu wollen. Auf dem Sonderparteitag stimmen die Sozialdemokraten über die Aufnahme von Verhandlungen ab. Kanzlerin Angela Merkel hat als Ziel ausgegeben, bis Ostern eine neue Regierung zu bilden.
Der Vorsitzende der SPD-Nachwuchsorganisation Jusos, Kevin Kühnert, kündigte bis zum Parteitag eine "No-GroKo"-Tour in der Partei an. "Der Spitzensteuersatz wird nicht erhöht, es gibt faktisch eine Obergrenze für Flüchtlinge, die Lösung zum Familiennachzug ist enttäuschend", begründete er in der "Welt" seinen Widerstand.
Union gegen "Rosinenpicken"
CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt rief Schulz auf, die interne Kritik an den Sondierungsergebnissen zu beenden. "Martin Schulz muss jetzt zeigen, dass die SPD ein verlässlicher Koalitionspartner sein kann und er den Zwergenaufstand in den Griff bekommt", sagte er der "Bild am Sonntag".
Bayerns Finanzminister und designierter Ministerpräsident Markus Söder lehnt Nachbesserungen ab: "Natürlich gilt alles. Die von allen Delegationen einstimmig beschlossene Sondierungsvereinbarung ist mit 28 Seiten doch fast schon ein Koalitionsvertrag."
CDU-Vize-Chef Thomas Strobl sagte dem "RedaktionsNetzwerk Deutschland", die Sondierungsvereinbarung gelte: "Grundlegende Dinge, die da nicht drin stehen, kommen auch nicht in einen Koalitionsvertrag." Seine CDU-Vorstandskollegin Julia Klöckner ergänzte: "Alles wurde im Paket verhandelt, kein Rosinenpicken bitte!"
In der Bevölkerung stösst die GroKo auf grosse Vorbehalte. 52 Prozent halten sie für "weniger gut" oder "schlecht", ergab eine Umfrage von Infratest Dimap für die "Welt am Sonntag". Gleichzeitig fordern aber auch 60 Prozent, dass der SPD-Parteitag den Weg für Verhandlungen frei machen sollte, so eine Emnid-Umfrage für die "Bild am Sonntag".
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