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«Wir wollen das Leben in den Vordergrund stellen»

Doris Bittel-Passeraub: «Wir können die Lebensqualität eines Patienten enorm steigern.»
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Doris Bittel-Passeraub: «Wir können die Lebensqualität eines Patienten enorm steigern.»
Foto: RZ

Doris Bittel-Passeraub, Leiterin Kompetenzpol Palliative Care im Spitalzentrum Oberwallis.
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Doris Bittel-Passeraub, Leiterin Kompetenzpol Palliative Care im Spitalzentrum Oberwallis.
Foto: RZ

Quelle: 1815.ch/RZ 5

Sie leitet den Kompetenzpol Palliative Care im Spitalzentrum Oberwallis. Doris Bittel-Passeraub (54) über todkranke Menschen, den Umgang mit dem Tod und ihre Aufgabe, die Lebensqualität der Patienten zu steigern.

Frau Bittel, ist diese Woche schon ein Patient auf Ihrer Abteilung gestorben?

Nein. Aber selbstverständlich ist es Realität, dass Menschen auf unserer Abteilung sterben. Palliative Care hat ja nicht nur zwangsläufig mit Sterben zu tun.

Sondern?

Wir unterstützen Menschen mit unheilbaren und chronischen Krankheiten und helfen Ihnen unter anderem, die Schmerzen zu lindern. Die Aufgabe ist sehr anspruchsvoll, nicht zuletzt auch deshalb, weil neben den Patienten auch deren Angehörige betreut werden. Das fordert neben professionellem Wissen sehr viel Einfühlungsvermögen und viel Verständnis für Patienten und Angehörige.

Im Kompetenzpol der Palliative Care arbeiten viele Fachleute aus verschiedenen Fachrichtungen eng miteinander.

Der Kompetenzpol Palliative Care besteht aus einem interdisziplinären Team, welches aus Ärzten, Pflegenden, Psychologen, Seelsorgern, einer Ernährungsberaterin und Physiotherapeuten besteht. Je nach Situation eines Patienten werden weitere Spezialisten beigezogen. Der Kompetenzpol setzt sich zusammen aus Palliativstation und dem mobilen Palliativdienst. Unsere Station ist verantwortlich für die komplexen Fälle. Wenn jemand zum Beispiel Schmerzen hat oder rund um die Uhr betreut werden muss und daheim nicht mehr gepflegt werden kann, dann werden die Patienten ins Spital eingewiesen. Ziel ist es, dass die Patienten wieder zurück an ihren ursprünglichen Betreuungsort können.

Sie wollen kranken Menschen die bestmögliche ­Lebensqualität ermöglichen. Gelingt das immer?

Im Grossteil der Fälle gelingt es uns. Das ist aber nur möglich, weil alle Fachkräfte sehr eng zusammenarbeiten. Wenn jemand beispielsweise an starken Schmerzen leidet, kann unter Umständen ein Psychologe mehr zur Schmerzlinderung beitragen, als wenn man Medikamente verabreicht. In unserem wöchentlichen Rapport wird immer neu definiert, was das Wochenziel jedes Patienten und seiner Angehörigen ist. Und darauf arbeiten wir gemeinsam hin.

Welche Patienten erhalten Palliative Care?

Palliative Care erhalten alle Menschen, die an einer unheilbaren, chronisch fortschreitenden Krankheit leiden. Das kann eine Krebserkrankung sein, eine neurologische Krankheit wie MS oder ALS, eine Herzerkrankung, aber auch eine schwere Depression. Palliative Care bedeutet nicht: Man macht nichts mehr. Aber es muss frühzeitig über palliative Betreuung gesprochen werden. Bei einer Früherkennung kann nämlich sowohl für die Betroffenen als auch für die Angehörigen viel getan und die Lebensqualität für die Patienten gesteigert werden.

Mit anderen Worten, die Spezialisten und Ärzte sind hier gefordert.

Ich würde mir wünschen, dass sowohl Ärzte, Pflegende und Therapeuten als auch alle Fachleute, die mit kranken Personen in Kontakt treten, eine palliative Situation frühzeitig erkennen und offen und klar kommunizieren. Erst dann kann der Patient entscheiden und abwägen, was für ihn am besten ist. Dadurch kann seine Lebensqualität enorm gesteigert werden.

Sie gehen bei Ihrer Arbeit auch individuell auf die Wünsche Ihrer Patienten ein. Was wünschen sich todkranke Menschen?

Das sind mehrheitlich ganz einfache Sachen. Ein Patient will, dass sein Bett so ausgerichtet wird, dass ihm die Sonne ins Gesicht scheint. Ein anderer wiederum möchte noch einmal einen Spaziergang machen. Das ist sehr individuell. Sollte der Spaziergang aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr möglich sein, so kann dem Patienten der Spaziergang auf rein kognitive Art mit einem Psychologen ermöglicht werden. Wichtig ist es, den Patienten zuzuhören.

Wird auf Ihrer Station auch gelacht?

Ja, auf alle Fälle. Was nicht heisst, dass wir uns über die Patienten lustig machen. Im Gegenteil: Wir können uns mit den Patienten über verschiedene Alltagssituationen amüsieren. Wir müssen nicht jeden Tag dem Patienten vor Augen führen, dass er krank ist.

Im Leitfaden der Palliative Care steht geschrieben, den Tod weder zu beschleunigen noch zu verzögern. Das heisst, Sie sind gegen die aktive Sterbehilfe?

Sterbehilfe oder der assistierte Suizid sind keine Aufgaben der Palliative Care. In der Palliative Care beschleunigen wir weder den Tod noch verzögern wir ihn.

Gibt es denn bei Ihrer Arbeit nicht eine Grauzone?

Natürlich. Selbstverständlich habe auch ich ein gewisses Verständnis für einen todkranken Menschen, der sein Leben beenden möchte. Vor allem in der heutigen Gesellschaft, in der die Sterbehilfsorganisationen Exit und Dignitas stark präsent sind. Ich bin aber der Meinung, dass jeder Mensch, der mit diesem Gedanken spielt, sich zuerst mit den Möglichkeiten der Palliative Care auseinandersetzen sollte. Wer über sein Ableben selber entscheiden will, muss eine Alternative haben. Und das ist die Palliative Care. Meine Erfahrung zeigt mir, dass dann kaum noch ein Mensch von Exit spricht.

Wie stehen Sie persönlich der Sterbehilfe gegenüber?

Ich möchte nie einen assistierten Suizid. Ich erlebe tagtäglich bei meiner Arbeit, dass es viele kompetente Menschen gibt, die sich um die Patienten kümmern. Auch wenn es nicht immer einfach ist. Und ich bin überzeugt davon, dass bei Bedarf auch ich diese Hilfe erfahre.

Hat Sie schon ein Patient einmal darum gebeten, sein Leben zu beenden?

Das ist schon vorgekommen. Aber wenn ich mit diesen Patienten auf den Weg gehe und Symptome behandelt werden, tritt dieser Wunsch in den Hintergrund. Unsere Aufgabe ist es nicht, sterben zu helfen, sondern das Leben in den Vordergrund zu stellen.

Sterben ist mit vielen Gefühlen verbunden. Was macht uns Angst?

Das hängt mit verschiedenen Faktoren zusammen. Wir wissen nicht, was nach dem Tod ist. Ich erlebe aber regelmässig, dass sich viele Menschen vorstellen, was dann sein könnte. Das ist keine Frage des Glaubens. Aber es gibt natürlich auch Menschen, die sich vor dem Tod fürchten. Das ist die Realität.

Sie schliessen bei Ihrer Arbeit auch spirituelle und theologische Unterstützung mit ein.

Wenn jemand den Wunsch äussert, wird dem Sterbenden ein Seelsorger zur Seite gestellt. Aber wir zwingen niemandem etwas auf. Auch psychologische Unterstützung ist möglich. Ich stelle fest, dass die Menschen dem gegenüber offener werden. Das ist keine Generationenfrage. Ich staune oft, dass Menschen, die 70 oder 80 Jahre alt sind, diese Form der Hilfe in Anspruch nehmen.

Haben gläubige Menschen weniger Angst vor dem Tod?

Nein. Das hat mit der Persönlichkeit und der Einstellung jedes Einzelnen zu tun und ist unabhängig davon, ob jemand gläubig ist oder nicht.

Die moderne Medizin hat die Angst vor dem Tod wachsen lassen. Viele fürchten sich davor, an Apparate angeschlossen im Spital dahinzusiechen. Wie viele Patienten sehen Sie angstfrei sterben?

Die meisten Menschen sterben ohne Angst. Das hat auch damit zu tun, weil wir mit ihnen den Weg gehen, mit ihnen darüber reden und ihnen, wenn nötig, medikamentöse Hilfe anbieten. Hier bietet die Palliative Care wertvolle Unterstützung. Ich möchte nochmals betonen, dass Palliative Care nicht nur mit dem Sterben verbunden ist, sondern dass Menschen die notwendige Hilfe und Unterstützung angeboten wird, um die Lebensqualität zu steigern. Dies oft über Jahrzehnte.

Eigentlich müssten Sie ja dauernd deprimiert sein.

Warum?

Weil Sie täglich mit sterbenden, toten und trauernden Menschen zu tun haben.

Nochmals: Wir laufen nicht täglich mit einem ernsten Gesicht herum. Im Gegenteil: Wir haben auch oftmals Grund zum Lachen. Zudem kann ich mich bei meiner Arbeit mit meiner eigenen Vergänglichkeit auseinandersetzen. Ob ich dadurch eines Tages besser sterbe, weiss ich nicht. Aber diese Menschen und ihre Angehörigen geben meinem Team und mir viel Kraft und Energie. Zudem reden wir viel mit einander und können bei Bedarf auch professionelle Hilfe in Anspruch nehmen.

Wie nahe geht Ihnen die Arbeit mit sterbenskranken Menschen?

Ich habe mich schon viele Berufsjahre damit auseinandergesetzt und bin in dieser Materie stark verwurzelt. Wenn ich das Spital verlasse, kann ich sehr gut abschalten. Auch meine Familie hilft mir dabei. Aber es gibt auch Einzelschicksale, die mir sehr nahe gehen.

Viele Leute haben eine Patientenverfügung. Wie stehen Sie diesem Trend gegenüber?

Ich bin diesbezüglich sehr vorsichtig. Eine Patientenverfügung sollte immer mit Fachleuten erstellt werden und allfällige Unklarheiten beantworten. Viele Patientenverfügungen sind sehr schwammig gehalten und ungenau definiert. Der Alltag lehrt uns, dass man damit sehr vorsichtig umgehen muss.

Wie steht es mit Ihnen? Haben Sie eine Patientenverfügung?

Ja. Darin habe ich meine Wünsche aufgelistet, wenn ich einmal urteilsunfähig werden sollte.

Haben Sie Angst vor dem Sterben?

Nein, Angst habe ich keine. Das hat sicher auch mit meiner Arbeit zu tun. Aber was nach dem Tod passiert, das beschäftigt mich schon.

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Kommentare

  • nicht wortklauben, - 33

    keine juristische Wortklauberei, tot ist tot so oder so. Wie das aber Gott sieht ? Erklären Sie IHM mal den Unterschied .

  • Selbsttötung ? - 57

    Schlussfolgerung nach Stefan ; es heisst nicht Selbst-Mord ; sondern Selbst-Tötung.

    Wenn ein anderer bei einem Raub oder Streit das Opfer erschiesst, heisst es nicht Mord , sondern Fremd-Tötung ! Eigentlich klar, oder ? Ich urteile nicht, denn ich verstehe den Unterschied nicht, Du schon , denn Du verstehst ja den Unterschied den es gar nicht gibt.

    • stefan s. - 73

      Das ist eigentlich gar nicht so schwer: Den Unterschied kennt wahrscheinlich jeder ;-)
      Aber ich erkläre es dir gerne nochmals:

      - Selbsttötung - Du tötest dich selber. (Das ist die juristische Bezeichnung)
      Im Volksmund wird auch von Selbstmord geredet, macht es aber trotzdem nicht richtiger. Denn, "ermorden" kannst du nur einen anderen Menschen. Dich selber kannst du "nur" töten. Wobei dass dann gerne moralisch verurteilt wird und dann wird der Terminus Selbstmord verwendet.

      Und wenn du einen anderen Menschen umbringst, spricht man von Mord (oder Tötung im Affekt oder wie auch immer). Mord impliziert immer Gewalt gegen einen Menschen, gegen dessen Willen.

      Ist doch gar nicht so schwer, oder? ;-)

  • stefan s. - 114

    zum Glück weiss jeder Mensch selber, was er braucht.
    Und es heisst Selbsttötung, nicht Selbst"mord" ;-)

    Wir sollten über Menschen nicht urteilen, nur weil wir ihre Entscheidungen. nicht verstehen.

  • Bravo und Gratulation mit Dank - 99

    Sehr guter Beitrag ! Das ist es was der Mensch braucht - und nicht begleiteter Suizid = begleiteter Selbstmord !!! Danke Doris .

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