Frontal | Zermatt

«Federer und Wawrinka sind immer noch hungrig»

Pierre Paganini.
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Pierre Paganini.
Foto: RZ

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Er sorgt dafür, dass die beiden Tenniscracks Roger Federer und Stan Wawrinka fit sind auf der Jagd nach Grand-Slam-Titel. Pierre Paganini (58) erzählt, wie es so ist, Konditionstrainer des wohl grössten Schweizer Sportlers aller Zeiten zu sein.

Herr Paganini, Sie sind regelmässig im Wallis anzu­treffen, genauer gesagt in Zermatt, wo Sie seit 2005 eine Ferienwohnung besitzen.
Ja, meine Frau Isabelle und ich sind begeistert von Zermatt und lieben diesen Ort. Wir haben sogar 2001 in Zermatt geheiratet.

Woher diese Begeisterung?
Ich unterrichtete in den 1980er-Jahren in einer Schule Sport. Die Skilager haben immer in Zermatt stattgefunden, so lernte ich diesen Ort kennen und schätzen.

Ihr Hauptwohnsitz liegt aber nicht in der Schweiz, sondern in Dubai, wieso?
Die Trainingsbedingungen sind dort optimal. Im Winterhalbjahr liegen die Tagestemperaturen durchschnittlich bei 25 Grad. In der Regel bin ich während des Jahres aber nie länger als fünf Wochen in demselben Ort.

Sie sind diplomierter Sportlehrer. Wieso sind Sie gerade Tennis-Konditionstrainer geworden?
Das war Zufall. Eigentlich wollte ich Konditionstrainer im Fussball werden. Dann kam eine Anfrage, ob ich als Konditionstrainer im Trainingszentrum von Swiss Tennis in Ecublens arbeiten möchte. Nach ­einer Woche wusste ich: Das ist es.

Und haben Sie sich nie überlegt, doch noch zum Fussball zu wechseln?
Doch. Ich hatte in den 1990er-Jahren ein Angebot, für den FC Sitten als Konditionstrainer zu arbeiten. Es war die erste Ära von Christian Constantin als Präsident, der Sportchef hiess damals Paul-André Dubosson. Doch ich entschied mich, beim Tennis zu bleiben.

Was schätzen Sie am Tennis so?
Tennis ist eine Spielsportart, also kann man auch im Konditionstraining sehr erfinderisch sein. Das hat mich fasziniert. Es ist im Tennis wie beim Tanzen: Bei all der Eleganz sieht man nicht, wie viel harte Arbeit dahintersteckt. Im Tennis ist die Kondition nahezu unsichtbar. Dazu ist Tennis eine Einzelsportart. Ich kann mich auf eine Person konzentrieren. Das lässt eine kontinuierlichere Arbeit zu als etwa im Fussball, wo sich die Zusammensetzung einer Mannschaft dauernd verändert und man immer wieder mit anderen Spielern arbeiten muss. Gerade im Konditionstraining ist es aber wichtig, wenn man mit einem Athleten langfristig arbeiten kann.

«Ich lehnte ein Angebot als Konditionstrainer des FC Sitten ab»

Das Konditionstraining im Tennis unterscheidet sich also sehr stark von demjenigen im Fussball?
Beides sind Spielsportarten. Das ist aber dann schon die einzige Gemeinsamkeit. Die Dimension, die Anzahl Meter, welche der Sportler zurücklegen muss, sind völlig unterschiedlich. Ob man von 2 bis 12 Meter oder von 10 bis 80 Meter Pep haben muss, ist ein grosser Unterschied. Im Tennis gibt es immer wieder Stop-and-gos. Das ist ein völlig anderer Rhythmus. Im Gegensatz zu einem Fussballmatch weiss man im Tennis auch nie, wie lange ein Match dauern wird. Dazu gibt es viele Kontinentwechsel, viele Klimawechsel, immer wieder Belagwechsel. All das hat einen Einfluss auf die Art, wie trainiert werden muss.

Und auf all diese Bedingungen kann im Konditions­training gezielt eingegangen werden?
Natürlich. Ein Spieler bewegt sich ja nicht gleich auf Rasen wie auf Sand. Das Abstimmen auf eine neue Unterlage muss so schnell wie möglich passieren. Man muss sich mit den athletischen Eigen­arten einer Sportart auseinandersetzen. Es geht nicht ­darum, fit zu sein, es geht darum, fit auf dem Platz zu sein. Das ist ein gewaltiger Unterschied. Wenn jemand einen guten Sprint hinlegen kann, so heisst das noch lange nicht, dass er auf einen Stoppball richtig reagieren kann. Im Tennis reicht es nicht, schnell zu sein. Man muss diese Schnelligkeit auch clever einsetzen. Der Tennisspieler muss seine Athletik so harmonisch wie möglich benützen.

Wie unterscheiden sich die von Ihnen betreuten Roger Federer und Stan Wawrinka in ihrer Athletik?
Federer ist der Künstler mit seiner unglaublichen Kreativität, die er auch als Athlet hat. Er ist sehr koordiniert. Mit diesen künstlerischen Qualitäten ist er aber ein harter Arbeiter, das wird oft unterschätzt. Bei Wawrinka ist es das Gegenteil: Er ist ein harter Arbeiter, hat unglaublich viel Power. Durch die harte, kontinuierliche Arbeit hat man auch den Künstler Wawrinka entdeckt.

Wie oft arbeiten Sie mit Ihren Spielern?
Mit Federer arbeite ich 120 bis 140 Tage, mit Wawrinka etwa 70 Tage pro Jahr. Gewöhnlich gibt es einen Trainingsblock im Dezember, einen im März/April, einen im Juli/August und einen vielleicht September/Oktober. Es hängt immer auch vom Saisonverlauf ab. Grundsätzlich kann man von drei bis vier Grundblöcken reden. Daneben wird zwischen den Grundblöcken noch an der spezifischen Athletik gefeilt.

Wie oft trainieren die beiden eigentlich zusammen?
Fast nie.

Die beiden trainieren unterschiedlich?
Sie trainieren zwar dieselbe Sportart, aber jeder passt sich seinen individuellen Eigenheiten an. Jeder versucht mit seinen Stärken und trotz seiner Schwächen die Harmonie zu finden, um das Optimale aus sich herauszuholen.

Sie betreuen Roger Federer seit 1994. Haben Sie schon damals gedacht, dass er später so eine Karriere ­machen kann?
Man sah und spürte schon damals, dass Federer über besondere koordinative und kreative Fähigkeiten verfügte. Es gab Phasen in den Trainings, wo ihm Sachen gelangen, da konnte man einfach nur noch staunen: «Wow». Aber natürlich ist es bei einem Jugendspieler praktisch unmöglich zu sagen: Der wird eine künftige Nummer 1. Und eine derartige Karriere wie bei ­Federer ist sowieso im Voraus unvorstellbar.

«Wie beim Tanzen ist im Tennis die Kondition nahezu unsichtbar»

Wäre Federer auch für andere Sportarten talentiert gewesen?
Natürlich. Bei allen Ballsportarten wäre etwas drin gelegen; im Fussball ganz sicher. Federer ist ein Spielertyp. Er braucht die Attraktivität eines Spiels, auch im Training. Er wäre zum Beispiel kein guter Schwimmer geworden.

Roger Federer wird im Sommer 35 Jahre alt. Trainiert man mit 35 anders als mit 25?
Man muss auf der einen Seite auf Kontinuität setzen, denn Tennis bleibt dieselbe Sportart, ob jemand nun 20 oder 35 Jahre alt ist. Daneben müssen selbstverständlich auch Anpassungen gemacht werden. Es gibt immer wieder gewisse Überbelastungen, denen der Körper ausgesetzt ist. Die Planung und die Einteilung der verschiedenen Trainingseinheiten ist sehr wichtig, das Variieren der Intensität. Das Richtige, im rechten Moment machen ist enorm wichtig. Als junger Sportler hat man noch sehr viel Energie, die man ausleben kann. Als reifer Athlet verfügt man über viel Erfahrung. Man muss antizipieren. Man muss schon mit 27 wissen, wie man trainieren wird, wenn man 30 wird.

«Man muss schon mit 27 wissen, wie man mit 30 trainieren wird»

Ein Konkurrent von Federer und Wawrinka, Raphael ­Nadal, muss immer wieder lange Verletzungspausen einlegen. Trainiert der Spanier falsch?
Es kann nicht jemand falsch trainieren und ­alleine die French Open neunmal gewinnen. Jeder hat eine Art zu trainieren, die einem am meisten bringt. Gewisse Trainingsmethoden beinhalten grössere Risiken als andere. Ich will das nicht auf Nadal beziehen, aber es gibt schon Spieler, die überbelasten, weil sie nicht optimal planen. Am wichtigsten ist: das Richtige, im richtigen Moment aus dem richtigen Grund zu tun. Man muss wissen, wann man aufs Gaspedal drückt und wann man eine Pause einlegen soll. Man muss wissen, wann man intensiv arbeiten und wann man eher kreativ arbeiten soll. Man muss sich immer bewusst sein, warum man etwas tut. Tennis ist eine sehr komplexe Sportart.

Viele Spieler seiner Generation haben ihre Karriere, auch verletzungsbedingt, schon beendet. Wieso ist ­Federer immer noch vorne dabei? Hatte er einfach auch mehr Glück?
Man braucht immer auch eine Portion Glück. Im Sport muss man das Glück aber auch provozieren. Es klingt vielleicht etwas oberflächlich, aber es ist wirklich so: Die Leidenschaft, mit der Federer und übrigens auch Wawrinka tagtäglich Tennis leben, fasziniert mich. Wenn ich die beiden im Konditionstraining sehe, sind das für mich zwei Junioren. Ich spüre, sie haben noch mentale Luft. Sie sind immer noch hungrig, haben die gesunde Aggressivität, die es braucht, um ein Training nicht nur zu absolvieren sondern aufzufressen.

Wie hoch ist Ihr Anteil an den Erfolgen eines Roger ­Federers oder eines Stan Wawrinkas?
Der Anteil eines Konditionstrainers. Jeder im Team will in seinem Bereich das Beste für den Spieler leisten.

Zum Schluss, wie lange wird Federer noch spielen?
Ich weiss nicht, ob er das jetzt schon selber weiss.

Wenn die Ära Federer einmal zu Ende ist, hat ­­­­­­Pierre Paganini noch neue Ideen und Projekte?
Ich werde in zwei Jahren 60. Ich schaue nicht, was in den nächsten 20 Jahren sein wird, sondern konzentriere mich auf die Gegenwart.

Frank O. Salzgeber

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Infos

Vorname Pierre
Name Paganini
Geburtsdatum 27. November 1957
Familie verheiratet, eine Tochter
Beruf Sportlehrer
Funktion Konditionstrainer von Roger Federer und Stan Wawrinka, daneben Beratungsmandate
Hobbies Ski fahren, Wandern, Mountainbike, Joggen
Roger Federer wird noch weitere Grand Slam Turniere gewinnen. Ja
Ich kann mir vorstellen, später einmal als Konditionstrainer den FC Sitten zu betreuen. Nein
Meinen Lebensabend werde ich in Zermatt verbringen. Ja
Der Joker darf nur einmal gezogen werden.  

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