Asperger Syndrom
Andrea Jordan: «Keine Modediagnose!»
Andrea Jordan aus Glis kämpft seit gut zwei Jahren einen einsamen Kampf: Die vierfache Mutter will das Asperger Syndrom in das Bewusstsein der Oberwalliser bringen und wehrt sich gegen den Vorwurf der «Modediagnose».
In einem Gespräch mit 1815.ch bringt Andrea Jordan die fehlende Sensibilisierung für das Asperger Syndrom – einer tiefgreifenden Entwicklungsstörung innerhalb des Autismusspektrums – auf den Punkt: «Es ist ein einsamer Kampf, den ich führe. Wie gegen eine Mauer anzurennen», so die Gliserin.
«Das sind Welten»
«In Thun oder auch in Bern erlebe ich die Reaktionen auf dieses Thema anders. Das sind Welten.» «Die Hauptschwierigkeiten beim Asperger Syndrom sind die soziale Interaktion und die Kommunikation. Beides kann man üben, trainieren und so verbessern. Die wichtigste und hilfreichste Therapie ist ohnehin ein verständnisvolles Umfeld. Medikamente können auch manchmal nötig sein, denn viele Betroffenen neigen zu Angststörungen oder Depressionen.» Die Behandlung von Asperger-Betroffenen sei in erster Linie ein Training, wie Jordan erklärt.
«Man muss ihnen vieles beibringen. Man muss ihnen den Weg in allerkleinsten Schritten aufzeigen. Ihnen nicht sagen, WAS sie tun sollen, sondern WIE sie es tun sollen. » Die vierfache Mutter engagiert sich aus persönlichen Gründen für eine Sensibilisierung in der Oberwalliser Bevölkerung; drei ihrer Kinder sind vom Asperger-Syndrom betroffen. Doch Fachhilfe musste sich die Mutter ausserkantonal holen – im Oberwallis fehlen die Anlaufstellen.
Ausbildung als Fachberaterin
«Mir fiel früh auf, dass meine Kinder auffallend still und schüchtern sind, ich dachte, dass sich das mit der Zeit legt. Beim Eintritt in die Orientierungsschule wurde es richtig problematisch. Denn alles Neue und Unbekannte stellt für die Betroffenen ein Problem dar; holt sie aus ihren gewohnten und geregelten Tagesabläufen heraus. Jede Veränderung, alles Ungeplante und nicht Planbare ist schwierig.» Bis zur Diagnose bei einem ihrer Kinder verging fast ein Jahr.
«Obwohl ich als gelernte Krankenschwester Autismus kenne, wusste ich vom Asperger Syndrom bis dahin nichts. Die fachlich herbeigezogene Hilfe stellte fest, dass eine mögliche Asperger Diagnose 'Mut' verlange, da diese Wahrnehmungsstörung hier noch kaum ein Thema sei.» In dieser Zeit setzte sich Jordan intensiv mit dem Asperger Syndrom auseinander und lernte vieles im Verhalten ihrer drei Kinder zu begreifen. Auch eine Ausbildung in Deutschland als Fachberaterin für Menschen mit dem Asperger Syndrom absolvierte die Mutter. Für Jordan ist klar, dass ihre drei Kinder für ihren Weg im Leben viel Verständnis von der Umgebung brauchen werden.
«Zu wissen, dass sie eine andere Wahrnehmung haben, hilft beiden Seiten, den Betroffenen selber, die eine Erklärung für ihr ‚Anderssein‘ haben, und der Umgebung, die begreift, dass hinter ihrem Verhalten keine böswillige Absicht steckt.» Beim Asperger Syndrom gibt es aber auch viel stärker Betroffene. «Es gibt Betroffene, die niemals selbständig leben können und immer auf Hilfe angewiesen sein werden.»
Jahrelanger Kampf
Mit dem Vorwurf der «Modediagnose» wurde Jordan des Öfteren von Ärzten konfrontiert. «Ich kämpfe dafür, dass ärztliche Fachpersonen im Oberwallis beim Asperger Syndrom die richtigen Diagnosen stellen, und zwar möglichst in frühen Jahren, das heisst schon im Kleinkindalter. So kann man viel besser auf sie eingehen, sie verstehen und viel Druck von ihnen wegnehmen, was schon die ersten und wichtigsten Therapieschritte sind. Und man kann gezielt mit ihnen üben, so dass sie mit weniger Problemen durchs Leben gehen können. Ohne Diagnose kann es ein schwieriger Leidensweg werden, der nicht selten in einer Depression oder einem Burn-out endet.» Oftmals würden sich die Ärzte mit der Begründung weigern, dass einzelne Symptome nicht vorhanden seien.
«Kein Asperger weist alle Symptome auf. Zu sagen, das Kind schaut mir in die Augen und es spricht mit mir, also kann es kein Asperger sein, diese Aussage ist längst überholt.» Oftmals liegen die Gründe auch in der Unwissenheit über Asperger, vermutet Jordan. Dies ist einer der Gründe, weshalb sich Jordan auch als Co-Präsidentin des Vereins Autismus Wallis engagiert und mit ihren Anliegen immer wieder an die Öffentlichkeit gelangt.
Einer von hundert
«Bei einigen Kindern konnte ich diese Besonderheit feststellen – doch eine entsprechende Diagnose gilt hierzulande als Stigmatisierung und wird somit praktisch nicht gestellt.» Jordan denkt, dass die Ärzte Kinder mit Verdacht auf Asperger mit einer entsprechenden Diagnose nicht «abstempeln» möchten – und genau gegen diese Begründung wehrt sich die vierfache Mutter.
«In Anbetracht meiner eigenen Kinder muss ich sagen, dass es ihnen trotz 'Stempel' , ich würde sogar sagen dank dem ‚Stempel, definitiv besser geht, seitdem die Diagnose gestellt wurde. Denn für uns ist es kein Stempel, sondern eine Erklärung. Man darf auch nicht die vielen positiven Aspekte des Asperger Syndroms vergessen. Sind sie im sozialen und kommunikativen Bereich benachteiligt, so sind sie umso besser im logischen Denken. Manche wissenschaftliche Errungenschaft verdanken wir einem Asperger Betroffenen.»
Und die Umgebung könne beim Wissen um diese Besonderheit entsprechend reagieren und auf die Betroffenen eingehen. Denn immerhin sei auch im Oberwallis einer von hundert betroffen, betont Jordan.
Am Freitag 17. Mai 2012 findet im Pfarreiheim Glis ab 19 Uhr die erste Generalversammlung des Vereins Autismus-Wallis statt. In seinem ersten Jahr konnte der Verein schon viel bewegen, wie Jordan erklärt. «Wir verzeichnen zurzeit knapp 60 Mitglieder. Neumitglieder sind selbstverständlich herzlich willkommen und auch zur Generalversammlung eingeladen».
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