Alpinismus | Drei bayrische Alpinisten überlebten den Schneesturm im Monte-Rosa-Massiv
«Auf unserem Irrweg entdeckten wir eine erfrorene Alpinistin…»
Am vergangenen Sonntag kämpfte eine 14-köpfige Skitourengruppe am Pigne d’Arolla in einem Sturm ums nackte Überleben. In dieselbe lebensbedrohliche Situation gerieten drei deutsche Bergsteiger zur selben Zeit im Monte-Rosa-Gebiet bei Zermatt. Nur mit einer gezielten Überlebensstrategie entgingen sie dem Erfrierungstod.
Thomas Adlmaier (47), Thomas Hartl (48) und Thomas Schöberl (34) aus Bayern sind passionierte Alpinisten. Regelmässig brechen sie gemeinsam zu Bergtouren auf und haben zusammen schon Dutzende von 4000ern in der Schweiz bestiegen. In Südamerika standen sie gar schon auf Gipfeln von über 6000 Metern.
«Stündlich den Wetterbericht studiert»
Um ihrer Leidenschaft zu frönen, verbringen sie seit Jahren ein- bis zweimal jährlich eine Tourenwoche in der Schweiz oder im benachbarten Italien. So wie in der vergangenen Woche, als sie am Donnerstag von der italienischen Seite her von Staffal zur Mantova-Hütte auf 3400 Meter am Fusse der 4000er des Monte-Rosa-Massivs hochstiegen. «Bei herrlichem Bergwetter bestiegen wir am Freitag das Balmenhorn, das Schwarzhorn, die Ludwigshöhe und die Parrotspitze, allesamt über 4000 Meter hoch. Am Samstag folgte schliesslich der Aufstieg auf das 4610 Meter hohe Nordend. Der Abstieg führte auf Schweizer Seite hinunter zur Monte-Rosa-Hütte oberhalb von Zermatt», erklärt Thomas Adlmaier den Tourablauf dem «Walliser Boten».
Am Sonntag war die Rückkehr nach Italien zur Mantova-Hütte geplant. Vor den deutschen Alpinisten lagen ein mehrstündiger Aufstieg zum Lysjoch und eine anschliessende Abfahrt zur Mantova-Hütte. «Wir haben den Wetterbericht genau studiert und wussten, dass das Wetter umschlägt. Eine Wetterverschlechterung war für den Nachmittag prognostiziert. Deshalb nahmen wir den Aufstieg morgens um sieben Uhr bei leicht windigem Wetter in Angriff, sodass wir das Lysjoch schon zur Mittagszeit vor unseren Augen hatten.»
Eine Leiche im Schnee
Noch bevor die Dreierseilschaft die Abfahrt zur Mantova-Hütte in Angriff nehmen konnte, überraschte sie ein extremer Wettersturz mit starken Sturmwinden, Schneegestöber und zweistelligen Minustemperaturen. «Das war ein Schock. Plötzlich gab es keine Anhaltspunkte mehr, um sich zu orientieren. Mithilfe von GPS-Daten versuchten wir, das rettende Lysjoch zu erreichen, unbewusst aber stiegen wir noch weiter auf. Ein Abstieg zurück über den Gletscher hinunter zur Monte-Rosa-Hütte schien uns wegen der Gletscherspalten bei Sicht von wenigen Metern zu riskant», sagt Adlmaier.
Dann der nächste Schock. «Auf unserem Irrweg entdeckten wir einen Stock, der aus dem Schnee ragte. Daneben lag die Leiche einer Alpinisten rücklings im Schnee. Sie war offensichtlich erfroren. Ein Anblick, wie man ihn aus Berichten zu Everest-Besteigungen kennt. Spätestens jetzt war uns bewusst, in welcher Gefahr wir uns befanden», so Adlmaier. Im Kampf gegen den Sturm kam den Alpinisten auch das Zeitgefühl abhanden. «Als wir irgendwann auf die Uhr schauten, war es bereits 17 Uhr. Mit Erschrecken stellten wir fest, dass wir über Stunden umhergeirrt waren und es jetzt zu spät für den Abstieg war.»
Ein Schneeloch als letzte Rettung
Aus Erfahrung wussten die drei Alpinisten, dass sie sich vor Wind und Wetter schützen mussten, um die bevorstehende Nacht zu überleben. Mit ihren Schaufeln begannen sie ein Schneeloch zu graben. «Dies riet uns auch Bergretter Thomas Zumtaugwald von der Rettungsstation Zermatt, der nach Absetzung eines Notrufs mit uns in Kontakt trat. Es war uns bewusst, dass wegen des Sturms eine Evakuierung mit dem Helikopter nicht möglich war», erzählt Adlmaier.
Gut eine Stunde brachten die Männer damit zu, ein etwa zwei Meter tiefes Loch in den Schnee zu graben. «Es sollte so gross sein, dass keine Platzangst aufkommen konnte. Oben legten wir unsere Skier quer über die Öffnung, darauf unsere Rucksäcke. Über uns fegte der Schneesturm hinweg, es blitzte und donnerte. Die Öffnung des Schneelochs war rasch mit Neuschnee bedeckt. Wir hatten Angst, dass uns der Sauerstoff ausgeht. Abwechselnd musste jede Stunde einer hinaus, um bei gefühlten minus 25 Grad die Öffnung freizuschaufeln.»
Nachts klarte es auf
Im Loch lagen die Temperaturen bei etwa einem Grad plus. «Wir sassen unter Biwaksack und Rettungsdecke eng zusammen und redeten unentwegt, beteten und hofften, in durchnässter Kleidung die Nacht zu überleben. Wir wussten, dass wir wach bleiben mussten.» Den Kontakt zu ihren Familien in Bayern und zur Rettungsstation Zermatt mussten die Alpinisten auf ein Minimum beschränken. Lediglich eines ihrer drei Handys hatte noch ein wenig Akku, sodass sie es nach jeder SMS wieder ausschalteten. «Hoffnung machte uns die Durchsage der Rettungsstation Zermatt, dass das Wetter in der Nacht aufklaren würde und wir uns um 5.30 Uhr melden sollten.»
So verging Stunde um Stunde in Schnee und Sturm auf einer Höhe von 4300 Metern. «Als ich gegen fünf Uhr morgens aus dem Schneeloch kroch, war der Himmel sternenklar. Jetzt wusste ich, dass wir den Sturm überleben würden.»
Retter aus der Luft
Um 6.30 Uhr stieg von der Basis der Air Zermatt ein Heli durch eine Nebeldecke hoch, um die drei Bayern aus ihrer lebensbedrohlichen Lage zu evakuieren. «Mit GPS-Ortung konnten uns die Bergretter exakt lokalisieren. Erst flogen sie meine beiden Kollegen zur Monte-Rosa-Hütte hinunter, während ein weiterer Bergretter bei mir zurückblieb und half, unsere Ausrüstung aus dem metertiefen Neuschnee zu graben», lobt Adlmaier die in allen Belangen professionelle Hilfe der Rettungsstation Zermatt.
«Nach der Landung auf der Basis der Air Zermatt in Zermatt gabs dann erst mal wärmenden Tee. Anschliessend untersuchte ein Arzt die geretteten Alpinisten auf Erfrierungen. Aber alles war in Ordnung. Wir waren überaus glücklich, die Heimreise mit dem Auto zurück nach Bayern antreten zu können, im Wissen, dass diese Fahrt nicht so selbstverständlich ist…»
Norbert Zengaffinen
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