In Zusammenhang mit Postulat von Amherd
Mit «Risikoorientiertem Sanktionenvollzug» Rückfalltäter stoppen
Das als Versuch lancierte Modell des risikoorientierten Vollzugs von Strafen und Massnahmen bewährt sich. Ziel ist es, das Rückfallrisiko von Gewalt- und Sexualstraftätern zu senken. Zentral sind eine konstante Zusammenarbeit aller am Vollzug Beteiligten und eine vertiefte Risikoabklärung.
Der «Risikoorientierte Sanktionenvollzug» (ROS) wurde 2010 in den Kantonen Zürich, Thurgau, St. Gallen und Luzern als Versuch lanciert. Inzwischen ist er abgeschlossen und wird in diesen Kantonen seit Mai 2013 in den Regelbetrieb einbezogen. Am Dienstag informierten die Behörden in Zürich.
Das Modell basiert auf dem Grundsatz, dass sich der Straf- und Massnahmenvollzug auf die Rückfallprävention und die soziale Wiedereingliederung stützen soll. Die Bevölkerung hege ein wachsendes Sicherheitsbedürfnis, sagte der Zürcher Justizdirektor Martin Graf (Grüne). Die meisten Strafen seien irgendwann zu Ende. Im Hinblick darauf gelte es, Rückfälle möglichst zu verhindern.
Lanciert wurde ROS im Zusammenhang mit einem Postulat der Walliser CVP-Nationalrätin Viola Amherd, welche die Überprüfung des Straf- und Massnahmenvollzugs forderte. In seinem Bericht zum Postulat wies das Bundesamt für Justiz auf die Bedeutung einer stärkeren Zusammenarbeit und von Verbesserungen im Umgang mit Risikostraftätern hin.
«Nichts neu erfunden»
ROS besteht aus vier Ablaufschritten, welche Daniel Treuthardt von den Bewährungs- und Vollzugsdiensten des Kantons Zürich erläuterte. Man habe «nichts neu erfunden», präzisierte er. Es gebe bereits «gute, robuste Erkenntnisse im Umgang mit Straftätern».
Am Anfang steht die Triage der Straftäter. Mit Hilfe eines speziellen «Screening Tools» werden sie in A-, B- oder C-Fälle eingeteilt. Hier werden auch Delinquenten erfasst, die bisher durch die Maschen schlüpften, weil sie nicht leicht als Hochrisiko-Täter erkennbar waren.
Für die rund 70 Prozent A-Fälle ist keine vertiefte Abklärung nötig. Die je rund 15 Prozent B- und C-Fälle werden - in einem zweiten Schritt - genauer unter die Lupe genommen, dabei kann sich beim einen oder anderen durchaus erweisen, dass er kein erhöhtes Risiko darstellt.
Forensische Psychologen schätzen Gefährlichkeit und Rückfallrisiko ein und geben Empfehlungen ab. Dann folgt - Schritt 3 - die Erarbeitung eines Konzepts für den gesamten Vollzug. Einbezogen sind sämtliche beteiligten Fachleute, Schnittstellen werden damit entschärft.
Die Fäden hält jeweils von Anfang bis Ende eine fallverantwortliche Person in der Hand. Eine standardisiert Berichterstattung und «Sprache» hilft mit, Missverständnisse zu verhindern: Jeder weiss, wovon die anderen sprechen.
In der vierten Phase, dem eigentlichen Verlauf des Vollzugs, der jahrelang dauern kann, findet ein regelmässiger Austausch zwischen den Beteiligten statt. Dabei gelte es wachsam zu bleiben und auf Veränderungen des Risikopotenzials zu reagieren, sagte Treuthardt.
Zu früh für Erfolgskontrolle
Für eine Erfolgskontrolle ist es noch zu früh. Erst Jahre nach der Entlassung eines Täters kann man beurteilen, ob er rückfällig wird. Klar ist aber bereits, dass dank der neuen Triage weniger Täter ohne genauere Risikoabklärung bleiben, wie Thomas Manhart, Chef des Zürcher Amtes für Justizvollzug, sagte.
Vor dem ROS-Versuch seien rund 60 Täter pro Jahr genauer abgeklärt worden, seither rund 300. Dies zeigt laut Manhart, dass man zwar offensichtliche Hochrisikotäter schon zuvor abgeklärt habe. Personen dagegen, die sich erst im Laufe der Zeit als Hochrisikotäter entpuppten - weil sie etwa nach ihrer Entlassung eine schwere Gewalttat verübten -, wurden nicht frühzeitig erfasst.
Der Versuchsverlauf wurde wissenschaftlich begleitet und ausgewertet. Nach Ansicht des Bundesamtes für Justiz ist das Modell zukunftsweisend und für die ganze Schweiz bedeutsam.
Es soll jetzt schrittweise innerhalb der drei Schweizer Strafvollzugskonkordaten - Ostschweiz, Nordwest-/Innerschweiz, Westschweiz/Tessin - eingeführt werden. Eine entsprechende IT-Lösung wird entwickelt, Schulungen und Coachings sind vorgesehen.
Jedes Konkordat soll über eine Fachstelle für ROS-Abklärungen verfügen. Die Verantwortung für den einzelnen Fall bleibt jedoch beim jeweiligen Kanton. Die Konkordate tauschen sich gegenseitig aus.
Insgesamt kostete der von 2010 bis 2013 in den vier Kantonen laufende Versuch 7,5 Millionen Franken. Daran zahlte der Bund laut Manhart 2,4 Millionen. Der Kanton Zürich führte rund 100 Abklärungen im Auftrag der Partnerkantone durch. Diese beteiligten sich ebenfalls an den Kosten.
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